01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Gäste haben Sie denn?«
Cassie lehnte sich an das Balkongitter und verschränkte die Arme. »Im Haupthaus gibt es acht Apartments«, erklärte sie geduldig. »Dazu kommen drei Bungalows in der Dependance. Ich wohne selbst im Augenblick in einem der Bungalows, dem letzten.« Mühelos tischte sie ihm Fakten und Zahlen auf, und ihr Vortrag war so glatt wie ihre Stimme.
Unverwandt sah sie ihm dabei in die Augen, doch so attraktiv die Frau war, diese gewollte und irgendwie unpersönliche Einladung bereitete ihm Unbehagen. Von dem starken Wunsch getrieben, sie aus dem Konzept zu bringen, ihr zu zeigen, daß er so leicht nicht zu manipulieren war, fragte er: »Wohnt Ihr Mitarbeiter auch hier? Er scheint ein sympathischer junger Mann zu sein.«
Mit brüsker Bewegung richtete sie sich auf. Als sie Sebastian Wades soziale Verurteilung aussprach, schwang in ihrer Stimme ein Hauch des Giftes mit, den er bereits beim Eintritt wahrgenommen hatte. »Nein. Er wohnt in der Stadt bei seiner Mutter. Sie hat einen Tabakladen.« Sie rieb ihre Hände aneinander, als wollte sie Krümel loswerden. »Wenn Sie michjetzt entschuldigen würden, ich habe noch zu tun. Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie etwas brauchen, sonst sehen wir uns nachher.«
Das Lächeln war flüchtig diesmal und enthielt keine Einladung. Cassie eilte an ihm vorbei und ließ ihn allein auf dem Balkon stehen.
2
Penelope MacKenzie warf einen verstohlenen Blick in das Wohnzimmer des Apartments, in dem ihre Schwester Emma mit ihrem Vogelkundeheft saß und ganz in ihre Notizen vom Tage vertieft zu sein schien. Mit einem erleichterten Aufatmen machte Penny es sich vor dem Schlafzimmerfenster gemütlich. Noch ein paar Minuten ohne Forderungen, noch ein paar Minuten Schonung vor der fürsorglichen Beaufsichtigung ihrer Schwester.
Vor dem Tod ihres Vaters war alles anders gewesen. Da war Penny noch nicht vergeßlich gewesen; höchstens ab und zu ein bißchen zerstreut. Aber seit nun die letzte lange Krankheit ihres Vaters vorüber war, schienen einige der zerbrechlichen Verbindungen zwischen Denken und Handeln sich einfach aufzulösen.
Erst letzte Woche hatte sie einen Topf Wasser auf den Herd gestellt und war dann ins Wohnzimmer gegangen, um sich ein Buch zu holen. Als ihr der Topf wieder einfiel, war das ganze Wasser bereits verdunstet, der Boden des Topfs war in der Mitte geschmolzen, und die Masse war in einem silbrigen Strom über den Herd geflossen. Und wenig später hatte sie die Reste vom Sonntagsbraten ins Backrohr geschoben, anstatt sie in den Kühlschrank zu stellen. Emma war wütend gewesen, als sie es am nächsten Tag entdeckt hatte und den Braten wegwerfen mußte.
Aber das waren nur Kleinigkeiten. Penny dachte nicht gern an den Tag, an dem sie zum Einkaufen ins Dorf gegangen war, ihre Besorgungen erledigt und dann gemerkt hatte, daß sie nicht mehr wußte, wie sie nach Hause kam. Statt der Erinnerung an den bekannten Weg durch Ded-ham und danach den Hügel hinauf zum Ivy Cottage war in ihrem Hirn nur Leere gewesen.
In Panik flüchtete sie sich in die vertraute Wärme der Teestube ihrer Freundin Mary. Dort saß sie und schwitzte Blut, plauderte und trank heißen, süßen Tee, während sie versuchte, so zu tun, als hätte sich in ihrer Welt nicht gerade ein gähnender Abgrund aufgetan. Als sie endlich einen Nachbarn vorüberkommen sah, lief sie ihm nach und fragte atemlos: »Gehen Sie auch nach Hause, George? Dann gehen wir doch gleich zusammen.« Beim Gehen kehrte die Vertrautheit mit der Umgebung zurück und füllte das Vakuum, aber die Furcht hatte sich für immer in ihrem Inneren niedergelassen. Sie sagte keinem Menschen etwas davon, vor allem nicht Emma.
Vielleicht brauchte sie nur einen Urlaub, zwei Wochen ohne Pflichten und Verantwortung. Sie hatte lang genug dazu gebraucht, Emma davon zu überzeugen, daß sie nach den Jahren mit Vater Erholung verdient hatten. Und jetzt hatten sie ja sein Geld, jetzt konnten sie tun, was ihnen beliebte. Sie selbst hatte die Broschüre über das timesharing-Hotel im Reisebüro im Dorf entdeckt. Und Followdale war wunderschön - genauso schön, wie sie es sich vorgestellt hatte.
»Na, träumst du wieder mal, Pen?« Sie fuhr zusammen, als sie die Stimme ihrer Schwester hörte. »Komm, beweg dich. Wenn wir uns nachher in Ruhe für die Party umziehen wollen, müssen wir gleich einkaufen gehen.« Emma nahm ihre wasserdichte Jacke aus dem Schrank und begann mit ihrer
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