0,1 % - Das Imperium der Milliardäre
Forschungsgegenstand leicht überforderter Sozialwissenschaftler, sondern auch und gerade Mathematiker und Naturwissenschaftler haben sich an solche Netzwerkanalysen gewagt. So hat eine Forschergruppe am Lehrstuhl für Systems Design der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich in einem aufsehenerregenden Papier errechnet, dass es nicht nur ein eng verknüpftes, überschaubares Netz der wichtigsten transnationalen Konzerne gibt, sondern dass und wie dieses Netzwerk ungeheuren Einfluss auf die globalen Märkte und deren finanzielle Stabilität ausübt. Die Forscher erschließen die Architektur eines internationalen Eigentümernetzwerks, kalkulieren das Ausmaß der Kontrolle, welches dieses Netzwerk als zentraler Global Player auszuüben in der Lage ist. »Wir haben herausgefunden, dass bestimmte transnationale Konzerne eine gigantische Struktur in Gestalt einer ›Krawattenfliege‹ bilden, deren eng geknüpfter Knoten eine Kontrollzentrale der wichtigsten Finanzinstitutionen ist. Diese Knotenstruktur kann als eine ökonomische ›Superentität‹ betrachtet werden, die entscheidende Fragen für die Forschung und für die Politik aufwirft.« 13
Viele Publikationen haben diesen Forschungsbericht inzwischen kritisch oder lobend diskutiert. Im New Scientist 14 , dem britischen Wissenschaftsmagazin, halten renommierte Systemanalysten das Projekt für einen »einzigartigen Versuch, das Rätsel, wer oder was die globale Ökonomie kontrolliert, zu lösen. Eine Vertiefung dieser Analyse könnte dazu beitragen, den globalen Kapitalismus stabilerzu machen.« Einer der Züricher Forscher, James Glattfelder, bemerkt: »Die Wirklichkeit ist so komplex, dass wir uns erst einmal von jeder dogmatischen Interpretation, ob nun Verschwörungstheorien oder Ideologie des freien Marktes, fernhalten sollten.« Das Forscherteam hatte aus einer Datenbank (Orbis 2007), die 37 Millionen Unternehmen und Investoren weltweit auflistet, alle 43 060 transnationalen Konzerne und deren Anteilseigner herausgefiltert. Auf dieser Grundlage wurde ein Modell konstruiert, das nachzeichnete, welche Konzerne mittels Anteilseigentum Kontrollmacht über die übrigen Unternehmen ausübten. Diese Verflechtungen wurden durch Informationen über Betriebsgewinne ergänzt, so dass das Bild einer globalen ökonomischen Machtstruktur entstand.
Die Untersuchung ergab einen Kern von 1 318 Unternehmen mit ineinandergreifenden Eigentumsbeziehungen. Jedes dieser 1 318 Unternehmen hatte Verbindungen zu mindestens zwei anderen Unternehmen aus diesem Sample. Im Durchschnitt waren es jeweils zwanzig Verbindungen. Und obwohl diese Kernunternehmen nur zwanzig Prozent aller weltweit anfallenden Betriebsgewinne auswiesen, schienen sie gemeinsam – durch das in ihnen repräsentierte Anteilseigentum – die Mehrheit der großen »Blue Chip« und Industrieunternehmen weltweit, also der »Realökonomie«, zu vertreten – und damit noch einmal sechzig Prozent der globalen Revenuen. Und als das Forscherteam dieses Gewebe von Anteilseigentum (und Anteilseigentümern) weiter aufdröselte, stieß es auf eine ›Super-Entität‹ von 147 noch enger miteinander verwobenen Unternehmen – alles Anteilseigentum war im Besitz der jeweils anderen Mitglieder jener »Superentität« – und dieser Kern kontrollierte vierzig Prozent des Reichtums des gesamten Netzwerks der 1 318 Unternehmen. Im Endeffekt kontrollierten weniger als ein Prozent der Unternehmen vierzig Prozent des gesamten Netzwerks. Und die meisten dieser 147 Unternehmen waren Finanzinstitutionen. 15
Für den Makroökonomen John Driffill von der University of London besteht der Wert dieser Analyse nicht nur im Nachweis, dass eine kleine Gruppe von Leuten die Weltwirtschaft kontrolliert, sondern noch mehr in der Erkenntnis, dass dieses ökonomische System auf diese Weise außerordentlich stabil ist.
Die 1 318 transnationalen Konzerne, die das »Herz« der Weltwirtschaft bilden. Die Größe des jeweiligen Punktes entspricht dem jeweiligen Umsatz beziehungsweise Gewinn. (Abbildung siehe Anmerkung 15)
Das Züricher Team selbst ist sich da nicht so sicher, zumal seine Datensätze, wie gesagt, aus dem Jahr 2007 stammen, also gut abgehangen, dafür aber auch solide sind. Man habe ja im Jahre 2008 gesehen, wie instabil solche Netzwerke – gerade weil sie so eng verflochten sind – werden können: »Wenn ein Unternehmen Probleme bekommt «, sagt Glattfelder, »breitet sich das sofort aus.« Und ein Experte für komplexe
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