01 - Der Geist, der mich liebte
Zähneputzen.
Zurück im Zimmer tauschte ich Jeans und T-Shirt gegen den Schlafanzug, knipste die Nachttischlampe an und löschte das Deckenlicht. Als ich ins Bett schlüpfen wollte, fiel mein Blick aufs Fenster. Es war mittlerweile nach zehn und draußen war es längst finster. Das Spiegelbild, das meine Nachttischlampe auf die Scheibe warf, gefiel mir nicht. Es wirkte verzerrt und sah gar nicht mehr wie die kleine Lampe mit dem beigefarbenen Schirm aus. Das Ganze hatte viel mehr Ähnlichkeit mit einem Kopf als mit einer Lampe.
Okay, das genügte! Ich ließ die Bettdecke, die ich gerade zurückschlagen wollte, los und ging zum Fenster. Obwohl ich es in der Finsternis nicht erkennen konnte, wusste ich, dass sich unter meinem Zimmer der Garten erstreckte. Und dahinter der Friedhof. Plötzlich wirkte die Dunkelheit auf
der anderen Seite der Scheiben so erdrückend, dass ich es nicht mehr über mich brachte hinauszusehen. Ich packte die Vorhänge und zog sie mit Schwung zu. Sofort fühlte ich mich besser. Dann fragte ich mich jedoch, ob ich die Haustür und - fast noch wichtiger - die Terrassentür abgeschlossen hatte. Ich war der Meinung, dass ich es getan hatte, doch mir war klar, ich würde keine Ruhe finden, solange ich mich nicht noch einmal davon überzeugt hatte. Obwohl ich mir vollkommen idiotisch vorkam, blieb mir keine andere Wahl: Ich musste einfach nachsehen.
Barfuß tappte ich über den Gang, natürlich nicht ohne überall Licht anzumachen. Schon nach wenigen Schritten waren meine Füße eiskalt und ich nahm mir vor, Socken anzuziehen, ehe ich ins Bett ging. Ich polterte die Treppen hinunter zur Wohnungstür und überprüfte das Schloss. Ordnungsgemäß verriegelt. Blieben noch die Tür zur Garage und die Terrassentür. Auf meinem Weg durch das Haus zog ich an jedem Fenster die Vorhänge vor. Selbst wenn ich mich nicht hier unten aufhielt, gefiel mir der Gedanke nicht, jemand könnte womöglich von draußen hereinschauen. Die Garagentür war verschlossen, die Terrassentür nicht. Mit einem heftigen Ruck legte ich den Riegel um und rüttelte an der Tür, um ganz sicherzugehen, dass sie auch wirklich zu war.
Ich benahm mich wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal allein zu Hause war. »Als ob ein paar Vorhänge und Riegel etwas gegen Geister nützen würden«, murmelte ich. In sämtlichen Geistergeschichten, die ich kannte, glitten die Gespenster einfach durch Wände hindurch. Ich zuckte die
Schultern und fügte mit einem schiefen Grinsen hinzu: »Zumindest Zombies wird es aufhalten.«
Nachdem das Haus gesichert war, kehrte ich in mein Schlafzimmer zurück und fischte mir ein Paar Socken aus dem Schrank. Dann schlüpfte ich endlich ins Bett und knipste das Licht aus.
Obwohl ich müde war, konnte ich lange nicht schlafen. Alles um mich herum war mir fremd; Gerüche, Geräusche, selbst das Gefühl der Daunendecke auf meiner Haut. Jedes Geräusch schreckte mich auf. In Gedanken suchte ich ständig nach Ursachen. Das leise Knarren der Holzdielen. Das Säuseln des Windes, der ums Haus strich und raschelnd ins trockene Laub fuhr. Ein paar Katzen, die sich fauchend hinter dem Haus begegneten. Allmählich gelang es mir, alle Gedanken an Gespenster zu verdrängen. Dann schlief ich endlich ein.
Im Laufe der Nacht begann ich so heftig zu frieren, dass ich zitterte.
Noch immer im Halbschlaf und zu müde, um meine Augen zu öffnen, tastete ich nach der Decke. Ich musste sie im Schlaf von mir geworfen haben. Meine Finger fuhren über den Stoff und fanden die Decke dort, wo sie hingehörte. Hatte ich das Fenster offen gelassen und spürte nun die kalte Nachtluft? Nein, ich hatte es geschlossen aus Furcht vor...
»Hab keine Angst«, hauchte eine sanfte Stimme neben meinem Ohr.
Ich riss die Augen auf und starrte in die verschwommenen Züge eines Mannes, keine zwanzig Zentimeter von
meinem Gesicht entfernt. Ein undeutlicher Schemen, der sich über mich beugte. Mit einem Schrei sprang ich aus dem Bett und fuhr bis an die Wand zurück. Ich riss die Lampe vom Nachttisch und hielt sie schützend vor mir in die Höhe, bereit, sie als Waffe einzusetzen. Mein Puls raste so heftig, dass ich glaubte, ich würde jeden Moment umkippen. Zitternd tastete ich über die Lampe, bis ich den Schalter fand. Als das Licht anging, kniff ich geblendet die Augen zusammen. Über dem Bett glaubte ich hellen Nebel zu erkennen, der sich langsam verflüchtigte, als würde er von einer unsichtbaren Brise auseinandergetrieben. Womöglich
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