01 - Der Ring der Nibelungen
jungen Schmied. »Du! Komm her!«
Seine Stimme hatte etwas, das mehr als auffordernd war - sie war befehlend auf eine bezwingende Weise, die das Ergebnis der Erziehung als Kronprinz war.
Siegfried war nicht auf einen Kampf aus, auch wenn der Gedanke daran seine Muskeln kribbeln ließ. Doch es war Regin, der das Wort ergriff. »Herr, wir sind nur einfache Schmiede aus dem Norden. Mein Ziehsohn ist gut am Amboss, nicht im Kampf.«
Giselher grinste schief und spuckte auf den Boden. »Ist er also kein Mann?«
Es mangelte Siegfried die Erfahrung, um die Provokation gelassen hinzunehmen. Entschlossen trat er auf Giselher zu.
Regin dachte kurz daran, ihn zurückzuhalten, aber es war sicher unklug, sich mit dem Thronfolger zu überwerfen, wenn man am Hofe gern gesehen sein wollte. So oder so - beide Männer wollten diesen Kampf.
Giselher lachte zufrieden, als er ein Holzschwert nahm und es Siegfried zuwarf, der es ungelenk in der Hand wog.
»Wie lautet dein Name - Schmied?«, fragte der Thronfolger, dessen Schwert mit seinem Arm eine trainierte Einheit bildete.
»Siegfried«, antwortete dieser.
Gernot, der jüngste von Gundomars Söhnen, saß auf dem Boden des kleinen Balkons, der ihm einen guten Blick über den Hof erlaubte, ohne selbst gesehen zu werden. An sonnigen Tagen las er hier, ungestört vom Trubel des höfischen Alltags und fern von der Neckerei seiner Brüder. Diese Woche hatte es jedoch viel geregnet, und der Stein war noch so feucht, dass Gernot ein Fell als Unterlage ausgelegt hatte.
Als Dritter in der Thronfolge war sein müßiges Leben von wenigen Verpflichtungen unterbrochen - und er empfand keinen Groll deswegen. Heute hatte er vorgehabt, dem Falken bei seinem Flug zuzusehen. Einmal hatte er seinen Vater gebeten, das Handwerk des Falkners erlernen zu dürfen, aber Gundomar hatte nur lachend versichert, dass ein Falke mit seinen starken Klauen seinen dürren Arm wie einen Zweig zu zerbrechen verstünde. Gernot hatte den Scherz als genau die Herabwürdigung verstanden, als die er gemeint war - und sich seither darauf beschränkt, die edlen Vögel aus der Ferne zu betrachten.
Doch etwas anderes hatte nun seine Aufmerksamkeit erregt. Es gab Neuankömmlinge bei Hofe - und es waren keine Wormser Bürger, die wieder einmal um Beistand gegen die Unbill baten, die über das Land gekommen war. Dem Anschein nach waren es ein Schmied und sein Helfer, die ihren Karren durch das Tor gezogen hatten. Sie waren ein sonderliches Paar - klein, stämmig der eine, mit dunklen Haaren und ebensolchen Augen; groß, schlank und stark der andere, von deutlich hellerer Abstammung. Sie mochten Lehrer und Schüler sein, vielleicht Geschäftspartner - aber Vater und Sohn waren sie nicht.
Giselher hatte den jungen, in einfache Kleidung gewandeten Mann zum Kampf aufgefordert. Gernot war klar, dass sein Bruder es für nötig hielt, jedem Neuankömmling seine Überlegenheit zu beweisen. Es würde ein kurzes Duell werden, wenn man die Chancen des jungen Schmieds danach beurteilte, wie ungeschickt er das Holzschwert führte.
Das Tor der Haupthalle öffnete sich, und König Gundomar trat heraus, umgeben von Beratern und Botschaftern. Gunther war nur einen Schritt hinter ihm, ein Pergament mit Berichten studierend.
Und Hagen. Natürlich Hagen.
Alles Treiben auf dem Hof wurde eingestellt, und die Menschen verbeugten sich vor ihrem König. Auch Giselher und Siegfried zollten ihren Tribut.
Angesichts der Lage, in der Burgund sich derzeit befand, besaß die Zerstreuung durch Sport und Spiel sicher keine hohe Dringlichkeit in Gundomars Tagesablauf, aber als er den kräftigen jungen Mann sah, der mit einem Holzschwert vor seinem Sohn stand, entschied er mit einer Handbewegung, dass Zeit genug war, sich den Kampf anzusehen. Hagen flüsterte etwas in sein Ohr, doch Gundomar winkte verärgert ab.
Gernot wollte nicht einmal wissen, worum es ging. Giselher war der Kämpfer und zukünftige König, Gunther war der Stratege und Ratgeber, und Kriemhild würde durch eine sorgsam arrangierte Hochzeit die Macht des Königreiches nach außen sichern. Als einzigem der vier Kinder des Hofes Burgund war Gernot keine Aufgabe zugewiesen, und er wollte es nicht anders.
Manchmal schien es ihm, als geschähen alle Dinge bei Hofe nur dazu, die vorbestimmten Rollen und Pflichten zu untermauern. Giselher würde seinen Gegner besiegen, vielleicht auch noch ein wenig demütigen, und sein Vater würde ihm vor den Augen aller mit einem kräftigen Schlag
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