Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 - Der Ring der Nibelungen

01 - Der Ring der Nibelungen

Titel: 01 - Der Ring der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
fiel auf, dass trotz der baulichen Eleganz eine Festung von militärischer Kraft vor ihnen stand. Sie war von keinem Wehrgraben umgeben, aber das doppelflüglige Tor wirkte massiv und unnachgiebig.
    Es war nur ein kurzer Weg von vielleicht einer Viertelstunde. Wieder wachten zwei Soldaten an beiden Seiten des Eingangs.
    »Die Schmiede Regin und Siegfried begehren Einlass«, rief Siegfried, als sie noch einige Schritte vom Tor entfernt waren. »Gekommen sind wir, um dem König unsere Hilfe anzudienen.«
    Die Soldaten fragten nicht, musterten nicht einmal den Karren. Gleichzeitig schlugen sie mit ihren Lanzen gegen das Holz des Tores, welches kurz darauf lautlos aufschwang.
    Es war das erste Mal, dass Siegfried in eine Burg Einlass fand. Sein Herz klopfte heftig, und was er sah, übertraf seine Tagträumereien bei weitem.
    Das Burggelände war weit größer, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Kleine Grasflächen dienten Soldaten zum Training mit Schwert und Schild, in einem Gehege liefen Hühner und Schweine umher, und hölzerne Stallungen beherbergten Dutzende Pferde. Unter einem Vordach hockte ein Handwerker, der Lederstücke zusammennähte, und gleich daneben schnitzte ein Zimmermann Stöcke, die für Standarten oder Speere gebraucht werden mochten.
    Schilde und Fahnen schmückten die grauen Mauern, und Hofdamen in bunten Kleidern eilten umher. Ein paar Burschen kümmerten sich um Pferde, die von den Soldaten abgegeben wurden, und auf dem östlichen Wehrgang sah Siegfried einen Falkner, von dessen ausgestrecktem Arm sich ein prachtvolles Tier erhob. In einer Ecke übte ein Barde mit einer Leier ein neues Lied ein, und die Töne seiner Saiten verliehen der Szenerie etwas Unwirkliches.
    Es war wie eine neue, fremde Welt. Doch auch hier war zu spüren, dass ein Schatten über dem Land lag, und die Geräusche entsprachen nicht im Entferntesten dem, was zu erwarten gewesen wäre.
    Siegfried zog den Karren weiter, aber die hölzernen Räder klapperten laut auf dem gepflasterten Untergrund. Die Menschen am Hofe schienen in der Bewegung zu erstarren und schauten ängstlich in seine Richtung. Regin bedeutete dem Jungen, den Karren vorerst stehen zu lassen.
    Die Aufmerksamkeit der meisten Höflinge wandte sich wieder dem Training der Soldaten zu, die mit Holzschwertern aufeinander einschlugen. Ein Mann stach dabei besonders heraus - statt dem Abzeichen von Burgund auf dem Wams trug er nur ein weißes ärmelloses Hemd. Lange braune Haare fielen auf seine Schultern, und dunkle Augen fixierten seine Gegner. Er war sehr groß gewachsen, und seine Erscheinung verriet königliches Blut auch ohne die Insignien der Macht. An seinen Armen spielten straffe Muskeln, als er behände seine Waffe von links nach rechts wechselte und gleich drei Soldaten zum Kampf forderte.
    »Wenn den Geschichten in den Herbergen und Tavernen zu trauen ist«, murmelte Regin, »dann ist das Giselher, ältester Sohn und Kronprinz des Königs.«
    Siegfried nickte, obwohl er nicht richtig zuhörte. Das Schauspiel hatte ihn in seinen Bann genommen.
    Es war eine kurze, geradezu spielerische Übung. Giselher parierte die Attacken der Soldaten mit geschmeidigen, fließenden Bewegungen. Dabei drehte er sich in die Reihen seiner Gegner, um schließlich hinter ihnen aufzutauchen, bevor sie darauf reagieren konnten. Das Holz des Übungsschwertes berührte Rücken und Nacken von zwei Soldaten, die gemäß den Regeln erstarrten. Dann ließ Giselher seine Waffe fallen und schlug mit einem kurzen Faustschlag dem dritten Soldaten gegen die Schläfe, als dieser sich gerade umdrehte. Er war bewusstlos, noch bevor er den Boden berührte.
    Zufrieden riss der Prinz die Arme in die Höhe, und die zwei ausgeschiedenen Soldaten schleppten ihren regungslosen Kameraden davon. Einige andere Kämpfer klatschten anerkennend, und die Hofdamen tuschelten unter der Hand in sehnsüchtiger Bewunderung.
    Giselher steckte den Kopf kurz in einen Wassertrog und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Wer nun?«, rief er, als gelte die furchtsam eingehaltene Stille für ihn nicht.
    Es war offensichtlich, dass niemand am Hofe daran gelegen war, sich zum hundertsten Mal vom Thronfolger in den Staub werfen zu lassen. Unzufrieden drehte sich Giselher im Kreis - bis er Siegfried entdeckte.
    Vielleicht war es die Tatsache, dass Siegfried seinem Blick mehr neugierig als bewundernd standhielt, oder die Freude über einen neuen, noch nicht einzuschätzenden Gegner - Giselher deutete auf den

Weitere Kostenlose Bücher