01 - Der Ring der Nibelungen
beachtlich. Wollen wir hoffen, dass Etzel ebenso reagiert und ein wenig mehr Ausdauer als die bisherigen Freier mitbringt, wenn er um sie wirbt.«
Gernot nahm einen Schluck Wein. »Ich bin überzeugt, dass Kriemhild auch einem Hunnen widerstehen kann -wenn nicht sogar der ganzen Hunnenhorde!«
In den unterirdischen Gewölben der Burg war Siegfried und Regin eine Kammer zugewiesen worden, in der sonst Burgwachen schliefen. Die einfachen Pritschen, Fell in ein Holzgestell gespannt, waren wie ein Berg aus gewaschener Schafswolle im Vergleich zu den sandigen Waldböden, auf denen sie die letzten Tage genächtigt hatten.
Regin tauchte die Fackel, die ihnen den Weg erleuchtet hatte, in einen Wassereimer, der neben dem Eingang stand. Dann legte er sich hin und schloss die Augen.
Siegfried tat es ihm nach, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte die Decke an. »Es ist gut, dass wir nach Burgund gekommen sind.«
Regin musste kein Hellseher sein, um seinem Ziehsohn in die Seele zu blicken. Er seufzte lautstark. »Siegfried, du wirst weder den Drachen bekämpfen noch Kriemhild freien. Zu beidem fehlt dir das Blut.« Nur er selber wusste, dass er log - lügen musste, wenn er Siegfrieds Leben schützen wollte.
Siegfried setzte sich unruhig wieder auf und knetete seine Hände. »Du verstehst das nicht. Kriemhild, der Drache . . . es erscheint mir wie . . . «
Ächzend stemmte sich der alte Schmied auf. An baldigen Schlaf war sowieso nicht zu denken. »Wie Vorsehung? Bestimmung? Schicksal? Siegfried, du bist es, der nicht versteht. Du verstehst weder, was auf dem Spiel steht, noch, womit du es zu tun hast.«
Er ließ die Worte kurz in der Luft hängen, bevor er weitersprach. »Wir reisen morgen ab. Nach Hause, nach Xanten - egal wohin.« Es war ein Tonfall, den Siegfried in seinen siebzehn Jahren bei Regin nur selten gehört hatte. Ein Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
Und doch blieb Siegfrieds Herz trotzig, war auch seine Zunge stumm. Abenteuer, Ruhm und Ehre - alles, was er sich immer erträumt hatte, war hier in Burgund zu finden.
Kriemhild.
Siegfried legte sich wieder hin. Der Gedanke an sie füllte ihn mit Ruhe und stiller Freude. Seine Lippen formten lautlos ihren Namen, bis er endlich einschlief.
Kriemhild hasste es, wenn ihr Vater kam, um »allein« mit ihr zu sprechen. Allein - das bedeutete immer in Begleitung von Hagen, seinem wichtigsten Ratgeber. Was sie »Gespräch« nannten, war ein Gericht. Und schuldig war sie sowieso.
»Du wirst Etzel treffen, und du wirst mit ihm sprechen«, rief der König erbost. »Es ist mir gleichgültig, ob dir seine Nase nicht gefällt oder seine Tischmanieren - es geht um Burgund!«
Kriemhild bändigte ihr Meer aus blondem Haar mit einem Streifen Wildleder unmittelbar unter ihrem Nacken. »Wenn es dir gefällt, werde ich Etzel empfangen. Aber du wirst mich nicht dazu zwingen können, ihn zu ermutigen.«
Gundomar strich sich über die Augen. »Kriemhild, du kannst das Unvermeidliche hinausschieben - verhindern kannst du es nicht. Du kennst die Gesetze von Burgund: Deine Brüder können erst heiraten, wenn du in festen Händen bist.«
Kriemhild wusste es - und es tat ihr weh. Wäre es nur um den Unmut ihres Vaters gegangen, sie hätte jeden Freier unverrichteter Dinge ziehen lassen. Aber damit verdammte sie auch Gernot, Giselher und Gunther zur Ehelosigkeit. Und ein Leben ohne Ehe war ein Leben ohne Erben für den Hof von Burgund ...
Der König packte seine Tochter nun bei den Schultern. »Kriemhild - du weißt, dass es mir fern liegt, dir einen Bräutigam auszusuchen. Aber es wird die Zeit kommen, da du mir keine Möglichkeit lässt. Wähle, solange dir die Wahl noch bleibt.« Er drehte sich um und ging nach draußen.
Hagen stand einfach nur da und sah Kriemhild an. Sie wollte, dass er verschwand, am besten nicht nur hier, sondern überall. Hagen schien ihr wie ein Geschwür, das Burgund krank machte.
»Was hält Euch noch in meinem Gemach?«, fragte sie schnippisch.
Hagen nickte devot. »Ein Vorschlag, Prinzessin. Ich weiß, wie wenig Ihr vom Gedanken an eine baldige Eheschließung haltet. Und Ihr wisst, wie dringlich Burgund darauf hofft. Wenn es der Sache dient, könnte man ... ein Einvernehmen finden.«
Kriemhild war gespannt, welche Niedertracht sich hinter den scheinbar harmlosen Worten verbarg. »Ich höre.«
Hagen trat näher, seine dunkle Gestalt wie ein Rabe, der Unheil zu verkünden trachtete. »Der Kronprinz der Sachsen befindet
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