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01 - Der Ring der Nibelungen

01 - Der Ring der Nibelungen

Titel: 01 - Der Ring der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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die Eisen und Flammen trotzen. Er lebt in einer Höhle und fliegt des Nachts über den Wolken.«
    »Ihr habt ihn gesehen?«, fragte Gunther verblüfft.
    Regin zuckte mit den Schultern. »Nein, Herr. Aber man hört so einiges, wenn man in den Tavernen auf dem Weg hierher die Ohren aufsperrt.«
    Siegfried war aufrichtig überrascht - er war ziemlich sicher, dass sie auf dem Weg von Odins Wald nach Worms nirgends klare Worte zum burgundischen Ungeheuer gehört hatten. Was wusste Regin wirklich? Und was verschwieg er?
    »Wie lange wütet der Drache schon in Eurem Reich?«, wollte Siegfried von Gunther wissen, der offen und auskunftsfreudig wirkte.
    »Seit etwas mehr als einem Jahr«, erklärte der Prinz. »Von einem Tag auf den anderen tauchte er auf, aus einem Wald nordwestlich von hier. Seither fliegt er mit seinen weiten Schwingen über das Land, verbrennt Häuser und Menschen, reißt unser Vieh. Wie viele Soldaten wir in den Wald auch geschickt haben - nicht mal ein Pferd kam lebend zurück.«
    »Aber warum warten?«, hakte Siegfried nach. »Warum nicht morgen mit den mutigsten Männern auf die Jagd nach Fafnir gehen?«
    Gunther seufzte gespielt. »Die Verpflichtungen des Hofes sind vielfältig, und derzeit plagt uns noch eine andere, wenn auch ungleich süßere Sorge - meine Schwester Kriemhild sucht einen angemessenen Gatten.«

    »Wenn ich mich recht erinnere, sind viele Könige des Kontinents noch ledig, so, wie die meisten der Thronfolger«, sagte Regin erstaunt. »Mit dem Glanz einer Prinzessin von Burgund dürften sich einige von ihnen sicher gerne schmücken.«
    »Das möchte man meinen - die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus«, grinste Gunther. »Keiner ihrer Galane hat auch nur die drei Tage, die ihm zur Werbung zustanden, in den Mauern von Burgund verbracht.«
    Siegfried versuchte sich vorzustellen, wie hässlich Kriemhild sein musste, um die Freier so zu verschrecken.
    »Hört nicht auf Gunther«, mischte sich nun der scheue Gernot ein. »Kriemhild ist nur wählerisch.«
    »So wählerisch, dass sie den meisten Besuchern nicht einmal eine Audienz gewährt hat«, protestierte Gunther. »Bestimmt munkelt man an fremden Höfen bereits, wir hätten unsere Schwester nur erfunden!« Er lachte und stieß mit Siegfried an.
    Auch Gernot war nun besserer Laune. »Diesem Gerücht kann Siegfried aufrecht entgegentreten, wenn er in seine Heimat zurückkehrt.«
    Siegfried hatte keine Ahnung, wovon Gernot sprach, bis dieser unauffällig in Richtung einer Empore deutete, die am anderen Ende der Halle über die gesamte Breite führte, um an beiden Seiten in dunkle Gänge zu münden.
    Dort stand eine junge Frau im Schatten des Gebälks. Es war Kriemhild.
    Siegfried wurde schwindlig von der Wucht der Gefühle, die ihn trafen, als er die Prinzessin sah.
    Er wurde geboren - neugeboren, wiedergeboren. Die Welt öffnete sich ihm wie einem Säugling, der die Augen aufschlug. Er hatte das Gefühl, zum ersten Mal zu sehen, zu hören, zu schmecken. Das Fleisch in seinem Mund schien auf einmal würziger, das Licht der Fackeln wärmer und der Stoff seiner Kleidung weicher. Er spürte, wie sich das Universum um ihn herum verformte, wie das Leben eine neue Richtung nahm, wie sein Schicksal Zweck und Ziel bekam.
    Auf diese Entfernung war sie kaum größer als sein Daumen für ihn, und die tanzenden Schatten der Halle verdeckten einen Großteil ihrer Gestalt, aber Siegfried fand in diesem Moment seine Bestimmung. Seine Bestimmung war diese Frau.
    Über die vielen Schritte hinweg konnte er ihre hellen wasserblauen Augen sehen, die sich weiteten, als sie erkannte, dass er sie ansah. Sie drehte sich um und verschwand linkerhand in den Gang am Ende der Empore.
    Siegfried war es einerlei. Er hatte sie gesehen, und sie hatte ihn gesehen. Es war ein Erkennen gewesen, so, wie sich Götter erkannten, wenn sie sich trafen. Es war das erste Mal, dass er eine Unausweichlichkeit spürte, die beruhigend und verstörend zugleich war. Kriemhild - sie musste sein werden, um alles in der Welt!
    Aber wie konnte das sein? Und wie konnte er so sicher sein, dass sie genauso empfinden würde - empfinden musste?
    Regin stieß seinen Ziehsohn grob an. »He! Hat dein Geist deinen Kopf endgültig verlassen, oder schwimmt dein Verstand schon auf dem köstlichen Burgunderwein umher?«
    Siegfried riss sich zusammen und nahm betont lässig ein weiteres Stück Braten.
    Gunther sah Gernot verschwörerisch an. »Die Wirkung unserer Schwester auf die Männer ist

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