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01 - Der Ring der Nibelungen

01 - Der Ring der Nibelungen

Titel: 01 - Der Ring der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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den vornehmen Höfen dieser Welt zählen nur Macht und Ansehen, die mit einer solchen Verbindung einhergehen.«
    Es war das erste Mal, dass Siegfried sich die Frage stellte, wie er wohl Macht und Ansehen erringen konnte.

    Die hintere Burgmauer war etwas höher als die anderen, um im Falle eines Angriffs von vorne auch von hier aus eine gute Sicht zu gewährleisten. Wie Zähne im Maul eines steinernen Riesen standen die Quader auf der Außenseite des Wehrgangs im eintönigen Rhythmus.
    Gernot spazierte hier in der Absicht, wenigstens unterwegs zu sein, wenn er schon keinen Platz hatte, an dem er erwünscht war.
    Kriemhild bereitete sich auf das Gespräch mit Etzel vor. Im Festsaal war er als »dritter Prinz« überflüssig, und durch das Hunnenlager in den Wald zu reiten hätte leicht missverstanden werden können. Es blieb ihm also nur sein Zimmer - oder die beständige Wanderung durch die Gänge und Hallen der Burg.
    Zwischen zwei Quadern sah er eine Gestalt sitzen, Beine und Rücken gegen den Stein gepresst, um nicht aus Versehen von der Burgmauer in die Tiefe zu stürzen. Es war Elsa.
    Einen Moment lang ertappte sich Gernot bei dem Gedanken, umzudrehen, bevor sie ihn sah. Es war weniger die Tatsache, dass er nicht mit ihr sprechen wollte, sondern mehr, dass sie ihn verwirrte. Er war überrascht, sie hier oben zu finden, aber andererseits tauchte Elsa immer dort auf, wo man sie nicht erwartete - war es also nicht vollkommen gewöhnlich, ihren schlanken Leib im kalten Wind auf der Burgmauer zu sehen? Und warum liefen sie sich immer wieder über den Weg, obwohl er auch in diesem Fall kaum Absicht ihrerseits unterstellen konnte?
    Es fiel ihm auf, dass er stehen geblieben war, um diesen Gedanken nachzuhängen. Elsa konnte ihn nicht sehen, denn sie saß mit dem Rücken zu ihm - nur ihre rechte Schulter und ein Teil ihres Kopfes ragten über den Quader hinaus. Sie ließ einen bleichen Fuß herunterbaumeln, darüber einen schwarzen, dünnen Rock.

    Er kannte Elsa schon seit der gemeinsamen Kindheit, auch wenn sie niemals zusammen gespielt hatten, noch gemeinsam unterrichtet worden waren. Eine Vertrautheit hatte sich nicht entwickelt, und Gernot fragte sich, ob Elsa überhaupt jemandem vertraute. Sicher nicht ihrem Vater. Es war ihm nie in den Sinn gekommen - aber Elsa musste sehr einsam sein.
    Gernot atmete durch und räusperte sich vernehmlich, um die junge Frau nicht zu verschrecken. Dann trat er neben sie.
    »Hast du keine Angst, dass Fafnir aus den Wolken herniederschießt und deinen zarten Leib davonträgt?«
    Elsa sah ihn an, nickte ergeben und wollte sofort aufstehen, um sich zu verbeugen. Gernot bedeutete ihr, sitzen zu bleiben. »Kein Grund für Förmlichkeiten, die ich nicht weniger verachte als du. Macht es dir etwas aus, wenn ich mich zu dir setze?«
    Sie schlug die Augen nieder. »Es steht Euch frei, an jeder Stelle der Burg Platz zu nehmen.«
    Gernot lachte unsicher. »Ich bat dich nicht um ein paar Handflächen Stein - ich bat dich um deine Gesellschaft.«
    Für einen Moment schienen ihre Wangen etwas Farbe zu bekommen, als würde ein hellroter Schatten über sie streichen. »Es ist eine Ehre.«
    Gernot setzte sich mit dem Rücken gegen den Quader, auf den sich Elsas linkes Bein stützte. Er blickte sich übertrieben auffällig um. »Kein Drache in Sicht.«
    Mit einer leichten Kopfbewegung deutete Elsa nach Westen. »Ich habe sein Feuer gesehen - weit entfernt hat es die Nacht erleuchtet.«
    Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie eine Holzschüssel in der Hand hielt. »Einer der bösen Tränke, die mein Schwesterherz für so verwerflich hält?«

    Elsa schüttelte unsicher den Kopf. »Die Suppe ... möchtet Ihr kosten?«
    Gernot winkte ab. »Ich würde gerne wissen, warum du hier oben isst. Als Hagens Tochter steht dir ein eigenes Zimmer zu. Und auch die Bediensteten würden sich glücklich schätzen, wenn du an ihrem Tisch säßest.«
    Elsa sah sich um, und er folgte ihrem Blick. »Ich mag die Aussicht, die Klarheit. Von hier oben scheinen alle Menschen wie Figuren, die in sich ändernden Konstellationen zu sich ändernden Zeiten zwischen den Orten ihres Lebens umherlaufen. Manchmal . . . stelle ich mir vor, ich könnte sie nur durch die Kraft meiner Gedanken beeinflussen.«
    Gernot wusste, was sie meinte - das Lager der Hunnen, der Festsaal, die Soldaten, Worms im Hintergrund. Man konnte alles mit einem Blick erfassen, die ganze Welt, so, wie sie die meisten Menschen hier nicht anders kannten.
    »Ein Gedanke,

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