01 - Der Ring der Nibelungen
Gegenteil - sie spürte, dass beide Seiten zu verlieren drohten. Sie war kein junges Mädchen, das Blütenträumen nachhing und dem wilde Geschichten von siegreichen Schlachten die Knie weich machten. Sie verstand die Bedürfnisse des Hofes, ihres Vaters und ihrer Brüder. Sie verstand , dass die Wahl eines Bräutigams nicht mehr lange hinauszuschieben war und dass der Erwählte von großer Macht wie großem Blut sein musste. Aber sie fühlte dieses Sehnen in sich. Dieses unerschütterliche Gefühl, in Siegfried den Tag zu ihrer Nacht gefunden zu haben. Sie fühlte die Unausweichlichkeit dieser ... Liebe?
Sie hatte dieses Gefühl noch nie gehabt, geschweige denn sich eingestanden. Und doch wusste sie genau, was es war. Ihre Hand krallte sich in den schweren Vorhang, und sie hatte Angst, sich zu übergeben.
Die Tür zu ihrem Zimmer öffnete sich, und Gernot trat herein. »Kriemhild, Vater wird Etzel gleich empfangen. Willst du nicht herunterkommen?«
Die Prinzessin atmete tief ein und zwang sich zurück in die Maske der gefassten Adeligen. Sie lächelte so ungezwungen, wie es ihr möglich war. »Später. Ich denke, es wird ein paar Stunden dauern, bis Vater und sein Gast überhaupt geklärt haben, wie die Eckpunkte dieser Verbindung beschaffen sein müssten, damit beide Reiche davon profitieren.«
Gernot war sichtlich misstrauisch. »Aber du wirst kommen?«
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Versprochen.« Etzel war von besonderem Blut, das konnte Siegfried sehen, als die Gruppe der Hunnen den Burghof betrat. Er war nicht sehr groß, aber von kräftiger Statur, und seine stark gebräunte Haut verriet ein Leben in der Natur, wie es Siegfried ebenfalls bekannt war. Sein Gesicht zierte ein dichter Bart, der unter dem Kinn zu einem Zopf geflochten war und der ihn älter aussehen ließ als die zwanzig Jahre, die er den Chronisten nach zählte. Seine leicht angeschnittenen Augen waren aufmerksam und für einen Krieger weich und klug. Er schien wie auf Moos zu gehen, federnd und elegant. Die Arme hielt er ruhig an seiner Seite, und das Hemd unter seiner Fellweste war schneeweiß. Auf dem Kopf trug er eine spitze Lederkappe mit Fellbesatz, unter der die schwarzen Haare ebenfalls im Zopf gebändigt waren.
Kein Zweifel - Etzel war eine prachtvolle Erscheinung, als Mann wie als Krieger, und er stach unter seinen eher grobschlächtig wirkenden Gefolgsleuten deutlich heraus.
Die Hunnen gingen, ohne den Hofstaat eines Blickes zu würdigen, direkt auf das Portal zum Festsaal zu. Dort wurden sie von Giselher und Gunther erwartet, die sich vor dem Gast leicht verbeugten. Die Tatsache, dass sie auf den Treppenstufen etwas erhöht standen, glich die Demutsgeste aus.
Etzel verbeugte sich nicht, aber sein knappes Nicken bezeugte den nötigen Respekt. Als er sprach, ertönte eine dunkle Stimme, die sorgsam den Worten ihre Bedeutung beimaß. »Etzel, Sohn von Mundzuk. Ich spreche zu Gunther und Giselher, Söhne von Gundomar. Es begegnen sich zwei Reiche - nicht mit erhobenem Schild und gezogenem Schwert, sondern in Freundschaft, in Hoffnung auf eine dauerhafte Verbindung.«
Trotz seines niederen Ranges gegenüber Giselher ergriff Gunther das Wort. »Ich bin Gunther von Burgund. Nicht nur Sohn von Gundomar, sondern auch Bruder von Kriemhild. Du bist uns willkommen als Gast wie als Freund. Trink mit uns, iss mit uns, sprich mit uns. Wenn wir auseinander gehen, soll der Weg nach Hause das Band zwischen uns spannen.«
Das Portal wurde geöffnet, und die Hunnen betraten den Festsaal, der von allen Tischen freigeräumt worden war und in dem der König vor seinem Thron stand, um den Gast zu begrüßen.
Mehr konnte Siegfried nicht erkennen, bevor die Tür wieder geschlossen wurde. Die Menschen auf dem Hof strömten auseinander und gingen wieder ihrer Arbeit nach.
»Ein Mann von königlichem Blut, das merkt man gleich«, murmelte Regin. »Und stolz. Es wäre bestimmt keine gute Idee, ihn vor den Kopf zu stoßen.«
Siegfried sah ihn von der Seite an. »Du meinst, Kriemhild wird um des Friedens willen seinem Werben nachgeben?«
Regin hob die Schultern. »Ich meine, dass Etzel eine gute Wahl ist - und jede weitere Verzögerung der Hochzeit kann nur zu einer Verschlechterung führen.«
»Aber ist eine Hochzeit nicht auch eine Frage des Herzens?«, protestierte Siegfried schwach, obwohl ihm klar war, wie die Antwort ausfallen würde.
»Bei Bauern vielleicht, und in den Liedern der Barden -aber nicht hier«, erklärte Regin. »An
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