01 - Der Ring der Nibelungen
beobachtete Regin, wie geschickt sein Ziehsohn Nothung bearbeitete. Immer wieder drehte er das Schwert, um beide Seiten gleichmäßig zu schmieden.
Mit einem Mal hielt Siegfried inne. Sein Hammer fiel zu Boden, und er packte den Griff des Schwerts. Er wollte es in den Bach tauchen, aber die Klinge vibrierte so stark, dass es ihn Mühe kostete, sie überhaupt festzuhalten. Sie flirrte, wurde unscharf, und der Ton peitschte sich in Höhen, in denen er für das menschliche Ohr unhörbar wurde.
Siegfried umklammerte nun mit beiden Händen No-thung, als müsse dem Schwert sein neu gewonnenes Leben geknechtet werden. Die Muskeln an den Oberarmen des Schmieds wölbten sich zitternd, und seine Beine suchten festen Halt auf dem Boden. »Es kämpft, Regin! Es kämpft!«
Es war keine Angst in Siegfrieds Stimme - nur ehrliche Verwunderung.
»Es sucht den Herrn!«, rief Regin. »Zeig ihm den Herrn!«
Siegfried presste die Zähne aufeinander. Die Vibrationen der Klinge übertrugen sich auf seine Arme, seinen Oberkörper, seinen Schädel. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen, und es dröhnte in seinen Ohren. Seine Schläfen pochten, und sein Herz raste.
»Ich . . . bin . . . «, begann er mühsam zu sprechen.
Das Schwert riss ihn fort, und er stolperte fast, als es ihn in einem Bogen über den Waldboden zog. Es brauchte all seine Kraft, um wieder Tritt zu fassen. Den linken Fuß drückte er tief in den weichen Waldboden, den rechten gegen einen Findling.
Nun riss Nothung seine Arme nach hinten, um diese an den Schultern aus ihrem Gelenk zu drehen. Doch Siegfried reagierte schnell, ließ links los, wirbelte nach rechts herum und packte wieder zu.
»Ich . . . bin . . . Siegfried!«, schrie er. »Siegfried von Xanten!« Das Schwert zog, zerrte, warf sich hin und her.
»Geh mit ihm!«, rief Regin. »Nutze seinen Drang!«
Siegfried stand nun auf den Zehenspitzen, als Nothung ihn in Richtung Himmel zog. Plötzlich ruckte das Schwert zu Boden, und er ging in die Knie.
Schweiß lief ihm in Strömen über den Körper, und sein Gesicht war verkniffen. Er knurrte wie ein Tier. Das Schwert drängte nun nach links zum Bach. Siegfried änderte die Taktik und ließ seine Muskeln locker. Mit zwei schnellen Schritten folgte er der Bewegung, nicht kämpfend, sondern führend. Ohne den Widerstand seines Meisters lief Nothungs Kraft ins Leere, und als es seinen Schwung verlor, zog Siegfried es in einem weiten Kreis an sich. Wieder bockte das Schwert, einem ungezähmten Gaul gleich, und Siegfried ließ den Trieb auslaufen.
Er leitete Nothungs Schwünge in weichen Linien, der Kraft nur die Bestimmung gebend. Aus dem Zweikampf wurde ein Tanz, ein Spiel der Bewegungen in fließender Form. Die Kräfte von Mann und Schwert gingen ineinander auf.
Elegant drehte sich Siegfried im Kreis, führte Nothung hoch über seinen Kopf - und stieß es dann mit einem mächtigen Schrei in den Findling, auf dem er das Schwert geschmiedet hatte. Zitternd ragte die Klinge halb aus dem Stein und kam schließlich zur Ruhe.
Erschöpft fiel Siegfried vor dem Findling auf die Knie, als wollte er ihn anbeten. Seine Stimme war wenig mehr als ein Japsen. »Du . . . bist . . . mein. Ich . . . bin . . . Siegfried!«
Regin hatte sich das ganze Schauspiel schweigend angesehen. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er Siegfried all die Jahre betrogen hatte. Siegfried war kein Schmied, war nie einer gewesen. Er hatte das Herz eines Kriegers und das Blut eines Königs. Es war gleich, ob ein Drache, ein Heer oder die Götter gegen ihn standen. Seinem Schicksal hatte er sich zu stellen.
Erschöpft, aber über die Maßen glücklich sah Siegfried seinen Ziehvater an. »Es ist wild. Und es will kämpfen.«
»Die Gelegenheit wird sich bieten«, versprach Regin. »Nothung ruht nicht, bevor sein Gebieter siegreich ist -oder die Gunst der Götter verloren hat.«
»Ist es das, was mit meinem Vater geschehen ist?«, fragte Siegfried.
Regin hob die Schultern. »Ich weiß es nicht - die Götter sind launisch, und was ihnen heute zusagt, mag sie morgen verstimmen. Der Preis für die Macht ist die Willkür.«
Es war noch früh am Vormittag, und Gunther hasste den Trubel, den die Ankündigung seiner Krönung ausgelöst hatte. Am Hofe wurden Säle geschmückt, Köche schafften von überall Fleisch, Geflügel und Gemüse herbei, und den ganzen Tag roch es nach frischem Brot, das für diesen An-lass gebacken wurde.
»Ihr solltet den Feierlichkeiten etwas gelassener
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