01 - Der Ring der Nibelungen
Die Gesetze erlauben keinen Spielraum in dieser Sache - der König muss vor dem Thronfolger heiraten. Und da Kriemhild ein Jahr älter ist als Gernot, könnt Ihr sie Siegfried nicht eher versprechen.«
Gunther erbleichte ein wenig, denn diese Klausel war ihm bislang unbekannt gewesen. »Dann müsste ich mein Wort brechen, obwohl ich König bin?«
»Nur weil Ihr König seid«, brummte Hagen. »Es ist die Ironie der Lage - in diesem Moment wäre Euch die Macht noch gegeben. Sie schwindet, wenn die Krone Euer Haupt berührt.«
Das Geschwätz hatte sich bei Hofe verbreitet gleich dem Durst in einem Land ohne Wasser. Wie der freundliche Schmied Siegfried von Soldaten vor den künftigen König geschleift worden war. Wie er, das Haupt noch auf den Schultern, wieder aus dem Portal trat. Wie es wütende Schreie und unbotmäßige Flüche aus der Schmiede gehallt hatte, die der Schmied mit seinem Ziehvater betrieb.
Es gab die ersten Gerüchte. Gerüchte, dass Siegfried zur Krönung Gunthers eine Heldentat von vortrefflichem Mut zu vollbringen gedachte. Es dauerte nicht lange, bis der Name Fafnir fiel und den Hofstaat in zwei Parteien teilte: jene, denen Siegfried gleichgültig war und die daher nur Hohn und Spott für diesen Wahnwitz übrig hatten, und jene, denen er genug ans Herz gewachsen war, um Mitleid und Sorge zu empfinden.
Gunthers verbliebene Geschwister Kriemhild und Gernot gehörten zu der Gruppe, der Siegfried lieb geworden war, seit er mit Regin ans Tor geschlagen hatte.
Die Prinzessin und ihr Bruder standen weit genug vom Fenster entfernt, um von den Hofdamen nicht gesehen zu werden, als sie Siegfried bei seinem wenig heldenhaften Auszug aus der Burg beobachteten. Es war ein Anblick, der kaum mit dem prächtigen Aufmarsch der dreizehn Reiter zu vergleichen war, die vor erst so kurzer Zeit aufgebrochen waren, Fafnir zu erschlagen, und die so kläglich gescheitert waren.
Siegfried ging zu Fuß, mit kaum mehr als einem Beutel voll Schinken und Brot und einem Schwert, das er sorgfältig in Leder gewickelt hielt. Selbst von hier oben war unverkennbar, wie sehr ihn die geflüsterte Spöttelei der Hofdamen und Soldaten traf. Er sah sich selbst als Held - und war damit doch einsamer, als es der Schmied Siegfried je gewesen war. Kurz bevor er das Tor erreichte, drehte er sich noch einmal um - erst zu Regin, der in der nun bewachten Tür der Schmiede stand, dann zum großen Portal, das verschlossen und abweisend war, und schließlich zu Kriemhilds Gemächern, deren Fenster leer waren. Er konnte nicht wissen, dass Kriemhild bei ihrem Bruder war und das Geschehen aus einem anderen Raum verfolgte.
»Er wird sterben«, sagte die Prinzessin seltsam tonlos. »Warum sind die Männer in Burgund so begierig, den Tod herauszufordern?«
»Als Feigling der Familie steht es mir kaum zu, dieses hohe Ross zu besteigen«, murmelte Gernot, »aber bei Siegfried scheint mir der Grund offensichtlich.«
Kriemhild sah ihn an, das Unausgesprochene verwerfend.
Gernot hob die Schultern. »Was soll es sonst sein? Er tut es nicht für Geld und Stand, denn beides stünde ihm auch dann nicht zu, wenn der Drache stirbt.«
Die Prinzessin mühte sich, beim vielleicht letzten Anblick des Mannes, den sie liebte, nicht in Tränen auszubrechen. »Es ist dumm und der Liebe nicht würdig, wenn er glaubt, für sie das Schwert schwingen zu müssen.«
Gernot sah sie fast ärgerlich an. »Kriemhild, wenn du Siegfried liebst, dann laufe in den Hof und sage ihm genau das. Denn alles, was er bisher in Burgund erlebt hat, muss ihn das Gegenteil glauben lassen.«
Kriemhild sah, wie das Burgtor geschlossen wurde, dann wandte sie sich ab. »Ich würde mich ihm zu Füßen werfen, wenn ich glaubte, seinem närrischen Treiben damit Einhalt zu gebieten. Doch was nun geschieht, ist vom Schicksal befohlen. Wir hingegen tun das, was unsere Pflicht und unsere Freude ist - wir bereiten uns auf die Krönung unseres Bruders vor.«
7
Fafnir und der Zorn der Götter
Es war nicht der Auszug aus der Burg gewesen, den Siegfried sich gewünscht hatte. Statt in Ehrfurcht und Jubel war er in Hohn und Spott gegangen.
Es kümmerte ihn jedoch wenig, weil er wusste, dass alle, die in ihm den tumben Schmied sahen, sich irrten. Siegfried hatte nicht nur Nothung - er besaß auch das Recht des Blutes. Und wenn nicht ein Königssohn, wer sonst sollte den Drachen niederstrecken?
Es tat ihm nur Leid, dass Regin ihn nicht verstand. Sein Ziehvater war über
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