01 - Der Ring der Nibelungen
die Maßen wütend geworden, als er gehört hatte, was Siegfried vorhatte. Er hatte Worte gebraucht, die Siegfried noch nie gehört hatte und von denen er annehmen musste, dass sie in einer fremden Sprache gesprochen waren.
Er ging ohne Hast, aber mit festem Schritt. Es würde einige Stunden dauern, den Wald zu erreichen, der Fafnirs Hort und Heimat war. Wenn er den Rückweg dazurechnete, blieb ihm tatsächlich wenig Zeit zur Rast, um zur Krönung des Königs wieder in Burgund zu sein.
Ein wenig fühlte Siegfried sich an Odins Wald erinnert, und es machte ihm das Herz leichter, endlich wieder einmal allein zwischen Bäumen zu marschieren, den Duft von Harz und Blüten in der Nase. Außerhalb der Burgmauern schien das Leben einfacher, unmittelbarer und weniger angefüllt mit Möglichkeiten und Unwägbarkeiten, die es immer zu bedenken galt.
Aber in der Burg war Kriemhild.
Kriemhild. Siegfried mühte sich, nicht an sie zu denken. Es gelang ihm erst, als er seine Gedanken Xanten zuwandte, dem Reich, das mit einem Mal sein Erbrecht sein sollte. Es erschien ihm absurd, denn schließlich kannte er weder das Land noch seine Bewohner. Er hatte keine Ahnung von seiner Größe, ob es bergig war oder flach und welche Götter seine Menschen anbeteten. Tavernengeschwätz war alles, was der rechtmäßige König mit seinem Reich verband.
Erneut zwang sich Siegfried, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Er hatte schließlich nicht einmal einen Plan, wie er Fafnir bezwingen wollte. Alles, was er hatte, war der blanke Wille - und Nothung. Es wäre sicher klug gewesen, Gunther um Rat zu bitten, denn immerhin hatte der künftige König von Burgund dem Ungeheuer Auge in Auge gegenübergestanden. Nun war es zu spät, diese Erfahrung zu nutzen.
Siegfried sprang über einen kleinen Bach, aß etwas von dem mitgebrachten Proviant und versuchte, sich Fafnir vorzustellen. Ein feuerspeiendes Maul, Haut wie Stein und Augen wie glühende Kohlen. Es klang wie ein Ammenmärchen, mit dem man Kinder erschrecken wollte, damit sie im Haus blieben. Aber die vielen toten Krieger zeugten davon, dass Fafnir mehr als eine Legende war.
Mit einem Mal wurde auch Siegfried unsicher. Hatte ihn die Begeisterung über seine Herkunft unvernünftig werden lassen? Hatte die Liebe zu Kriemhild gereicht, ihn sehenden Auges in den sicheren Tod zu führen?
Er konnte Nothung spüren, wie es in seiner Hand erschauderte. Durch das Leder hindurch fühlte Siegfried die lebendige Wärme des Schwerts, das in Erwartung des kommenden Kampfes freudig zitterte. Es gab ihm Zuversicht.
Und diese Zuversicht brauchte er, je näher ihn die Stunden Fafnirs Reich brachten. Es erinnerte ihn an die Reise nach Worms, die ihm fast schon legendär vorkam, obwohl sie kaum Wochen zurücklag. Die Stimmen der Tiere verklangen immer mehr, bis die Zweige, die unter Siegfrieds Füßen knackten, das einzige Geräusch waren. Die Bäume hatten in eiliger Erwartung des Winters viel von ihrem Blätterkleid abgelegt, und trotzdem filterten ihre dürren Äste das Sonnenlicht so weit, dass der Boden fleckig und unstet wirkte. Findlinge, manche so groß wie Ochsen, erschwerten das Fortkommen, wenn sie sich wie Perlen einer Kette aneinander reihten, als wollte die Natur den Wagemutigen eine Mauer entgegensetzen.
Ein Dolch lag einsam auf dem Boden, das Leder an seinem Griff schon pelzig überwachsen. Ein paar Schritte weiter lagen Brustschild und Helm eines Soldaten, in offensichtlicher Hast beiseite geschleudert. Die Schmiedearbeit war nicht von Burgund, das konnte Siegfried unschwer erkennen. An dieser Stelle hatten Römer ihren Meister gefunden.
Trotz der fortgeschrittenen Tageszeit wälzten sich vereinzelte Nebelschwaden träge um tote Baumstümpfe, und in Knöchelhöhe schwitzte die Erde blassen Dunst aus, der um Siegfrieds Stiefel tanzte. Nicht nur die Umgebung, auch die Jahreszeit wandelte sich. Der Boden wurde trocken und spröde, totes Moos knirschte unter den Schritten. Ein kalter Hauch trieb eine Gänsehaut auf Siegfrieds Arme. Hätte er nicht um die Beschaffenheit der Welt gewusst Siegfried hätte geschworen, die Grenze zu Utgard erreicht zu haben.
Die lähmende Trübnis stahl sich ihren Weg auch in Siegfrieds Kopf, dämpfte seinen Eifer, versuchte seine Furcht. Ohne es zu merken, verlangsamte er seine Schritte und sah sich immer wieder schreckhaft um.
Sieee . . . frieee . . .
Der Wald begann zu flüstern. Nicht mit Worten aus Kehlen, sondern mit Wind an den Ästen und
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