01 - Der Ring der Nibelungen
stürzen. Er ließ den Kopf Giselhers an seiner Stoffleine herunterbaumeln und brüllte aus vollem Hals: »Die Krieger Burgunds suchen den Kampf, Fafnir - komm heraus!«
Die Antwort kam schnell und wütend. Der ganze Hügel erbebte, und ein Brüllen, verstärkt durch den Hall in der Höhle, ließ die Blätter vor dem Eingang aufwirbeln.
Siegfried spürte, wie Fafnir seinen Leib durch den Gang drückte, wie seine Krallen den Fels kratzten und seine Augen den Herausforderer suchten. Er zog den Schädel zu sich hoch, schwang ihn zweimal herum und warf ihn dann vor die Höhle. Der Schädel Giselhers rollte aus, die toten Augen wie in Furcht auf die Höhle gerichtet, die Kiefer auf Stoff kauend. Siegfried wusste, dass er nicht lange würde warten müssen. Fafnir war so reizbar, wie er schnell war.
Der schlanke Kopf, von spitzen Panzern gekrönt, schob sich aus der Höhle, argwöhnisch pendelnd. Die zwei starken Vorderbeine mit tödlichen Klauen folgten, dann die breiten Schultern, die in der Körpermitte die mächtigen Schwingen trugen.
Es war der Moment, in dem Siegfried seinen Mut gegen seine Vernunft setzte und mit dem Schwert in der Rechten dem Drachen direkt ins Kreuz sprang. Seine Beine schrammten links und rechts am Hals des Tieres entlang, und sein Rumpf traf zwischen die Schulterblätter, als wäre Fafnir ein Pferd, das es zuzureiten galt.
Haut und Fleisch des Lindwurms waren kalt, seine Schuppen scharf an den Kanten und glatt an der Oberfläche. Es gab keine Möglichkeit, sich festzuhalten. Allein die Kraft seiner Schenkel musste Siegfried stützen.
Fafnir spürte den Druck des Kriegers in seinem Genick und riss den Kopf nach oben. Er brüllte, als wäre er verärgert über die Täuschung, der er erlegen war. Siegfried hingegen spürte den Schmerz, als die Schuppen des Drachen bei der Bewegung in seine Beine schnitten wie viele kleine Messer. Er schrie, aber er ließ nicht los. Stattdessen hob er Nothung, und hieb auf den Hals an der Stelle, an der er am schmalsten war.
Funken sprühend rutschte die Klinge ab, ohne Kratzer im Leib des Ungeheuers zu hinterlassen. Fafnir bog den Kopf zurück und presste die Kiefer aufeinander, um Siegfried mit Feuerstößen von seinem Rücken zu brennen. Der Krieger warf sich nach vorn, den Winkel verkleinernd, die Fläche schmälernd. Die Flammen züngelten an ihm vorbei.
Noch einmal drückte Siegfried Nothungs Klinge gegen den Hals des Drachen, und wieder blieb es ohne Wirkung. Wie ein Hund, der seinen eigenen Schwanz jagte, drehte sich Fafnir im Kreis, versuchte sich von der Zecke, die Siegfried für ihn war, zu befreien. Er breitete die Schwingen aus und schlug sie hektisch auf und nieder.
Es dämmerte Siegfried, dass er Fafnir nicht in den Himmel steigen lassen durfte. Dort oben brauchte ihn das Untier nur abzuwerfen, und seinen Tod würde der Sturz erledigen. Mit dem linken Arm drückte er seinen Körper zurück, hob das Schwert und stach in den ledernen Flügel, gegen den sein rechter Fuß gepresst war.
Der Drache schrie wie aus tausend Mäulern, bäumte sich auf und rutschte rückwärts auf den Höhleneingang zu. Siegfried wusste, was Fafnir vorhatte - er wollte den Krieger an der Höhlendecke abstreifen. Da er den Lindwurm von seiner Position aus nicht tödlich treffen konnte, beschloss er, ihm zuvorzukommen. Er schwang das linke Bein über Fafnirs Hals, sodass sich beide Füße auf dem Schultergelenk des rechten Flügels fanden. Mit dem linken Arm presste er sich in die Höhe, nun wankend auf dem kriechenden Biest stehend. Dann drückte er die Beine durch und katapultierte sich nach vorn.
Der Aufprall vor der Höhle war hart und schmerzhaft, Dreck wurde in die Wunden seiner Beine gerieben. Im Rücken spürte Siegfried den harten Schädel Giselhers drücken, und sein linker Arm war so verdreht, dass er ihn kaum noch spürte. Er lag genau vor der Höhle, unmittelbar vor Fafnir - direkt im Angesicht des Todes. Mühsam rappelte er sich auf die Beine, das scheinbar nutzlose Schwert immer noch fest in der rechten Hand.
Stille fiel wieder über den Wald.
Falls das Untier zu menschlichen Gedanken fähig war, glitzerte Triumph in seinen Augen. Es hielt inne, den kleinen und verletzten Krieger fast herablassend beschnüffelnd. Keine Eile war mehr in seinen Bewegungen, so, wie der Jäger nicht mehr darauf achten musste, ob der erlegte Hirsch noch flüchten wollte.
Siegfried atmete schwer, die schmerzenden Stellen verrieten ihm die Zahl der Knochen in seinem Körper.
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