01 - Der Ring der Nibelungen
stand. »Was wird nun werden? Wohin kann ich gehen, da ich am Hof kein Bleiberecht mehr besitze?«
Gernot sah sie an, mehr überrascht als verärgert. »Du wirst nirgendwo hingehen, Elsa, wenn nirgendwo nicht an meiner Seite liegt. Dein Platz ist jetzt mehr als zuvor bei Hofe.«
Sie lächelte dankbar, schüttelte aber den Kopf. »Als Tochter des Mörders? Man wird mir ins Essen spucken und des Nachts Ameisen in mein Zimmer schütten. Jede Schuld, die meinem Vater nicht mehr gegeben werden kann, werde ich begleichen müssen.«
Gernot nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. »Nichts von alledem wird geschehen. Denn wenn die Sonnenscheibe morgen über den Horizont klettert, findet sie nicht mehr Elsa, Hagens Tochter, sondern Elsa, Gernots Gefährtin. Und niemand wird die Braut des Prinzen schändlich zu behandeln wagen.«
Sie hob den Kopf, und mit einem langen Kuss dankte sie ihm die Liebe auch in schwerster Zeit.
Die Nacht, die Siegfried und Brunhilde hatte brennen sehen, löste sich im ersten Licht des Tages auf, als Kriemhild noch einmal zur Feuerstätte zurückkehrte. Die Balken, die die Körper getragen hatten, waren schwarz verkohlt und meistenteils zu Asche zerfallen. Auch der Körper der Königin war verbrannt, nur wenige Knochenstücke ruhten in schwarzen Resten. Doch die Prinzessin fand den Leichnam ihres Gemahls erschreckend unversehrt, als habe ihn die Unverwundbarkeit noch über den Tod hinaus schützen wollen. Als grotesk verzerrte, spröde Figur lag er da, auf die Hälfte seiner einst stolzen Gestalt geschrumpft, kein Haar mehr auf dem rissigen Körper, und die Zähne zwischen zurückgezogenen Lippen bleckend. Doch der Anblick ängstigte Kriemhild nicht, und sachte küsste sie den brüchigen Schädel ein letztes Mal. »Ich begann zu fühlen, als du an unseren Hof kamst. Und nun endet es mit diesem Tag. Doch wie zuvor wird mein Leib weiter sich bewegen, und meine Lippen werden weitersprechen. Bis das gerechte Schicksal mich erlöst. Es wird Leben in mir sein, doch keine Liebe mehr.«
In der Asche sah sie etwas funkeln. Es war der Ring, immer noch an der Hand des toten Gatten, unberührt von Feuer und Glut. Er strahlte, als wolle er um ein gnädigeres Los bitten als Siegfried. Vorsichtig nahm Kriemhild das Schmuckstück vom brechenden Finger und steckte ihn sich selber an. »Ein letztes Geschenk, so lange zu tragen, bis wir uns wiedersehen.«
Sie stand wieder auf und kehrte mit Asche auf dem Kleid zur Burg zurück.
Und das Lachen der Nibelungen folgte ihr leise.
Die Wochen gingen schnell ins Land, als wollte die Zeit rasch vergehen, um Herzen und Seelen zu heilen, die im Schmerz fast zerbrochen waren. Doch die Wunden, aus denen Burgund blutete, konnten nicht mit Narbenfleisch geschlossen werden. Während das Reich gedieh und vom Golde Siegfrieds reichlich profitierte, lag ein melancholischer Schleier über der Burg, der fast wie zu Zeiten Fafnirs nur düstere Gedanken zuließ.
Es fiel Gunther schwer, seine Tagesgeschäfte zu erledigen. Der Hagen, der nie weiter als Armeslänge an seiner Seite stand, flüsterte zwar unablässig auf ihn ein, doch seine Pflicht bei Hofe erledigte er nicht mehr. Manchmal brachte er den König so sehr auf, dass Gunther Rotwein trank, bis die Besinnungslosigkeit den Spuk verbannte. Hinter vorgehaltener Hand sprach man von geistiger Wirrnis, wenn Gunther mit den Schatten sprach und abwesend nickte, als würden diese ihm antworten.
Kriemhilds Geist war unversehrt, doch ihr Herz war taub und stumpf geworden. Nichts trieb sie mehr an, und nichts erregte mehr ihr Interesse. Weniger aus Furcht vor Pflicht und Einsamkeit war sie nicht nach Xanten gezogen, sondern aus einer völligen Gleichgültigkeit. Sie war in diesem Zustand, als Gernot sie auf ihrem Balkon aufsuchte. Seine feine Seele litt nicht weniger unter dem Zerfall der eigenen Familie, auch wenn die Liebe zu Elsa den Schmerz linderte. »Meine Schwester, auch wenn deine Pflichten dir kaum dringlich erscheinen mögen - Xanten und Dänemark brauchen Herrschaft!«
Sie sah ihn an, als wäre es ihr sogar unmöglich, sich aus dem Stuhl zu erheben. »Ich habe nichts mehr zu herrschen, Gernot. Wenn die Reiche fallen sollen, lass sie fallen.«
Es erboste den jungen Prinzen, dass seine Schwester so kampflos sich der Trübsal ergab. »Wenn Siegfried ein letztes Wort an dich hätte richten können - wäre es nicht die Bitte gewesen, das Reich seiner Väter in seinem Namen zu führen?«
Kriemhild blickte weiter
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