01- Die Normannenbraut
lernen kann, weise zu werden wie mein Vater, versöhnlich wie Bede - denn was ich gesehen habe, ist zu grässlich. Nie wieder will ich ein solches Blutbad gutheißen …
Sie zitterte am ganzen Körper, der Geruch des Todes schien immer noch an ihr zu haften, und sie sehnte sich nach Wasser, um ihn abzuwaschen.
In der Nähe des Bachs, der durch den Wald floss, schwang sie sich vom Rücken ihres Pferds, band es fest, sah sich um und lauschte angespannt. Aber ringsum herrschte friedliche Stille. Sie war allein. Trotzdem hielt sie ihr Schwert in der Hand, als sie zum Wasser ging, das kristallklar im Sonnenlicht funkelte. Sie sank auf die Knie, tauchte ihr Gesicht in die kühlen Wellen und wünschte, sie würden das Grauen wegspülen. Dann trank sie und richtete sich mit geschlossenen Augen auf. Sie strich nasse Haarsträhnen aus ihrer Stirn, blinzelte Tropfen von den Wimpern.
Ihr Atem stockte, als sie die Gestalt entdeckte, die halb im Wasser lag, knapp fünfzig Schritte entfernt. Langsam erhob sie sich, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Ihre Finger schlossen sich fester um den Schwertgriff.
Offensichtlich hatte der Krieger an der Schlacht teilgenommen. Ein schmutziger, blutbefleckter Panzer umgab seine breite Brust, und an seinem großen, starken Körper erkannte sie den Wikinger. Er trug keinen Helm, aber es war unmöglich, die Farbe des schlammbedeckten Haars zu erkennen. Die Züge seines Gesichts konnte sie nicht sehen, denn er hatte es in die andere Richtung gewandt.
Erin ging vorsichtig auf ihn zu. Ein Fisch sprang aus dem Wasser, und das plätschernde Geräusch ließ sie zusammenzucken. Aber der Mann, hatte sich nicht bewegt, und sie zwang sich, näher zu treten. Als sie neben ihm stand, glaubte sie, er wäre tot.
Doch dann bemerkte sie, wie sich die breiten Schultern hoben und senkten. Verkrustetes Blut klebte an den Schläfen. Sein Oberschenkel, in dem eine böse Schnittwunde klaffte, lag unter der Wasserfläche. Ein Schwert musste das Leder der hohen Gamaschen und das Fleisch zerfetzt haben.
Plötzlich stöhnte er, und Erin wäre beinahe zwischen die Bäume zurückgesprungen. Aber er verstummte sofort wieder. Mitleid, das sie nicht empfinden wollte, stieg in ihr auf. Er war schwer verletzt.
Was sollte sie tun? Einen wehrlosen Mann, der kaum atmete, konnte sie nicht erstechen - mochte er auch ihr Feind sein. Wahrscheinlich würde er ohnehin sterben. Und wünschte sie nicht den Tod aller Wikinger? Aber sein herzzerreißendes Stöhnen … O Gott, hatte der Anblick des Leichenfelds ihre Seele so geschwächt?
Vielleicht war er ein Norweger von hohem Rang, und es würde sich lohnen, sein Leben zu retten und ihn als Gefangenen zu ihrem Vater zu bringen.
Ehe sie seine Wunden behandelte und ihn mit vorgehaltenem Schwert zwang, sie zu begleiten, würde sie ihn fesseln.
Sie eilte zu ihrer Stute, wühlte in den Satteltaschen, fand aber keine Stricke. Schließlich überlegte sie, die Lederriemen, die beide Taschen zusammenhielten, müssten stark genug sein, um die Handgelenke des Mannes zu binden.
Rasch kehrte sie zu dem gefallenen Wikinger zurück, kniete nieder und legte das Schwert neben sich. Vorsichtig hob sie erst eins seiner Handgelenke hoch, dann das andere. Als sie das Gewicht seiner Arme spürte, schätzte sie sich glücklich, weil kaum Leben in ihm war. Hätte er das Bewusstsein wiedererlangt, wäre es ihr sicher nicht gelungen, ihn zu fesseln.
Schlaff hingen seine Finger herab, während sie die Handgelenke zusammenband, und gegen ihren Willen wurde sie von neuem Mitgefühl erfaßt . Geistesabwesend wischte sie den getrockneten Schlamm weg, der an den goldenen Härchen auf den Handrücken hing. Seltsam, wie menschlich diese kleine Geste den Mann erscheinen ließ …
Ich bin verrückt, dachte sie. Diese Hände haben mörderische Waffen gegen die Iren erhoben.
Er stöhnte wieder, und Erin biss die Zähne zusammen. Der Verstand sagte ihr, dieser Barbar würde den Tod verdienen, doch in der Tiefe ihres Herzens ertrug sie sein Leid nicht …
Doch dann zuckte sie die Achseln und verdrängte diese Gedanken. Er war ihr Gefangener, und sollte er sich dagegen wehren, würde sie ihm die Spitze ihres Schwerts an die Kehle halten. Sobald sie ihn in Mergwins Hütte gebracht hatte, würde sie den Druiden bitten, dem Wikinger einen starken Schlaftrunk zu geben. Wenn dieser Riese wach war, könnte er gefährlich werden.
Erin packte ihn an der Rüstung, wälzte ihn mühsam herum, und er stöhnte gequält. Sie
Weitere Kostenlose Bücher