01- Die Normannenbraut
beängstigend. Besäße er seine gewohnte Kraft, würde er seine Fesseln zerreißen und mich vom Pferd ziehen, dachte sie und richtete das Schwert auf sein stolzes, verächtliches Gesicht. »Ich warne Euch, Wikinger! Solltet Ihr versuchen, Euch zu befreien, werdet Ihr es bitter büßen.«
Er starrte sie immer noch an, als er auf die Knie sank, dann fiel er vornüber. Erin sprang vom Pferd und band es an einem Strauch fest. Vorsichtig näherte sie sich dem reglosen Wikinger. Wollte er sie in eine Falle locken? Sie drückte die Schwertspitze an seinen Rücken, doch er rührte sich nicht. War er gestorben? Natürlich verdiente er den Tod, doch es widerstrebte ihr, die Verantwortung dafür zu tragen. Die kam ihrem Vater zu, ihren Brüdern, den Kriegern, die den Feinden auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden.
Seufzend bückte sie sich und legte eine Hand auf den breiten Rücken. Olaf atmete noch. Sie war dem Weg gefolgt, der sich am Bach dahinwand, und sie beschloss, ihren besinnungslosen Gefangenen mit etwas Wasser zu beleben.
Sie drehte ihn mühsam herum, richtete ihn auf und lehnte ihn an einen Eichenstamm, an dem sie ihn mit dem Zügel festband. Dann eilte sie zur Stute, nahm ihren kleinen Silberbecher aus einer Satteltasche und füllte ihn mit Wasser.
Die Augen des Wikingers waren immer noch geschlossen, als sie den Becher an seine trockenen Lippen hielt. Wasser rieselte in seinen Bart. Seine Lider bebten, sein Mund bewegte sich. Instinktiv begann er zu trinken.
»Langsam!« warnte sie ihn. Da öffnete er seine eiskalten Augen, die sie durchdringend anstarrten. Offenbar verstand er ihren weisen Rat, denn er hielt inne, und vor seinem nächsten Schluck holte er tief Atem.
Er versuchte, sich zu rühren, und merkte, dass sie ihn am Baum festgebunden hatte. »Danke«, murmelte er auf Norwegisch und lächelte schwach.
Hastig wich sie seinem Blick aus. Sobald er bei Bewusstsein war, jagte er ihr Angst ein, trotz seiner Fessel. »Dankt mir nicht, Wikinger!« herrschte sie ihn an. »Ich lasse Euch nur am Leben, damit Ihr um so schmerzlicher leidet. Ein rascher Tod wäre eine zu große Gnade für Euch.«
Verächtlich stieg sie über seine ausgestreckten Beine hinweg und holte ein Stück Brot aus einer Satteltasche. Sie wollte es an Olafs Lippen halten, doch sie besann sich eines Besseren. Womöglich würde *er sie in die Finger beißen. Und so steckte sie es an die Schwertspitze und reichte es ihm.
»Eure Mahlzeit, Wikinger«, spottete sie. »Was immer Ihr in meinem Land gegessen habt, ist Euch durch das Schwert zuteil geworden, so wie heute. Aber diesmal könnte Euch die Klinge den Schlund aufschlitzen, also nehmt Euch in acht!«
Sie war froh, dass Aed sie veranlasst hatte, die Sprache der Eindringlinge zu lernen. Der Wolf verstand jedes Wort, das sie sagte. Das verriet der Hass in seinen Augen, der die Leere plötzlich verdrängte.
Sie beobachtete, wie er in das Brot biss, und wieder einmal dachte sie an den Tag, wo er mit seiner blonden Wölfin durch Clonntairth geritten war. Abrupt zog sie das Schwert zurück, an dem das halb verspeiste Brot steckte, und tat so, als müsste sie gähnen. In der Abenddämmerung funkelten ihre Augen wie smaragdgrüne Dolche. »Verzeiht, Bastard von Norwegen, ich bin zu erschöpft, um Euren Hunger noch länger zu stillen.« Einige Schritte von ihm entfernt, legte sie sich ans Ufer des Bachs, die Waffe in Reichweite. »Schlaft gut, Wikinger! Morgen werdet Ihr wieder an der Seite meines Pferdes laufen und dann dem Zorn meines Vaters begegnen - der irischen Rache!«
Kapitel 5
Fröstelnd schreckte Erin aus dem Schlaf hoch und blinzelte ins erste schwache Tageslicht. Sie erinnerte sich sofort, wo sie war. Aber was hatte sie geweckt? Und dann wusste sie es. Der Wolf starrte sie an. Trotz seines eisigen Blicks wurde ihr heiß, denn sie gewann den Eindruck, diese ungewöhnlichen blauen Augen könnten ihre Gedanken lesen.
Sie rückte näher an den Bach heran, neigte sich hinab, um ihr Gesicht zu waschen und zu trinken, dann stand sie auf und schlenderte zu ihrem Gefangenen, das Schwert in der Hand. »Heute werdet Ihr laufen -oder sterben, Wikinger«, erklärte sie und durchschnitt den Lederriemen, der ihn am Baumstamm festband. »Auf die Beine!” Seine Arme fielen herab, und er wartete, bis wieder Leben hineinfloss. »Beeilt Euch!« Erin bedrohte ihn mit ihrer Waffe. »Ihr dürft Euch waschen und trinken. Aber macht keine Dummheiten! Ich kann sehr gut mit dieser Klinge
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