01- Die Normannenbraut
umgehen.«
Er taumelte wieder, als er sich erhob, doch sie merkte ihm an, dass die Nachtruhe ihm neue Kraft gegeben hatte. Vorsichtshalber folgte sie ihm zum Ufer, die Schwertspitze berührte seinen Nacken. Sie erlaubte ihm nur einen Schluck. »Genug! Geht jetzt zu meinem Pferd! Und keine falsche Bewegung! Bedenkt - Ihr seid mein Gefangener.« Dass er ihr wohl oder übel gehorchen musste, erfüllte sie mit wildem Triumph.
Als sie die Stute losband, flog ein aufgeschreckter Vogel aus dem Gebüsch und schrie wie -ein Höllendämon. In panischer Angst bäumte sich das Pferd auf, und Erin musste das Schwert fallen lassen, um die Zügel zu ergreifen und das Tier zu beruhigen. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Sobald sie Olaf den Rücken kehrte, umschlangen starke Arme ihre Taille, die gefesselten Hände drückten sich hart in ihren Magen. »Euer Gefangener? Das glaube ich nicht.«
Sie atmete kaum, halb gelähmt vor Entsetzen, wusste jedoch, dass sie gegen ihren Feind kämpfen musste. Sie wand sich in seinem eisernen Griff herum, trat mit aller Kraft nach ihm und hoffte sein verletztes Bein zu treffen.
Ein qualvolles Stöhnen bezeugte ihren Erfolg. Aber die gebundenen Arme umfingen sie immer noch. Vor Schmerz wankte er heftig, verlor das Gleichgewicht, und sie stürzte mit ihm zu Boden. Sie lag unter ihm, rang verzweifelt nach Luft, und auch er musste warten, bis er wieder zu Atem kam.
Dann richtete er sich ein wenig auf und schüttelte den Kopf, als müsste er Nebel aus seinem Gehirn vertreiben. Seine Lider senkten sich, und Erin glaubte, die Sinne würden ihm wieder schwinden. Diese Gelegenheit musste sie nutzen. Sie versuchte, sich aus der Umklammerung zu lösen, und beinahe wäre es ihr gelungen, doch da schob er die gebundenen Hände unter ihrem Rücken nach oben und schlang unsanft die Finger in ihr Haar. Gepeinigt schrie sie auf, zerkratzte ihm blitzschnell das Gesicht. Er fluchte wütend und presste ihr einen Ellbogen zwischen die Rippen. Die Zähne fest zusammengebissen, um den Schmerz zu ertragen, wehrte sie sich mit Fausthieben und Fußtritten.
Schließlich zerrte er die gefesselten Arme unter ihr hervor und schlug sie mit einem Handrücken ins Gesicht.
Ihr Kopf dröhnte. Reglos lag sie da, die Augen geschlossen, kämpfte mit den Tränen und wartete auf den nächsten Schlag, der sie gewiss töten würde, auf Olafs barbarische Rache.
Nichts geschah. Langsam hob Erin die Lider, sah ihn neben sich liegen, einen Schritt entfernt. Müde starrte er sie an, während er nach Luft rang. Als er sich zu ihr wälz te, unterdrückte sie einen Angstschrei. Sie wollte aufspringen und fliehen, doch ihr Körper, vor Entsetzen erstarrt, gehorchte ihr nicht.
Der Wolf umschlang sie wieder mit seinen gefesselten Armen. Bleischwer lag er auf ihr und rührte sich nicht. Sie spürte nur seine tiefen Atemzüge. Nie zuvor hatte sie sich so machtlos gefühlt, niemals war ihr die Schwäche ihres Geschlechts so bewusst gewesen.
Schreckensvisionen schwirrten durch ihr Gehirn. Ganz sicher würde er sie töten - und vorher vielleicht vergewaltigen oder foltern. In wachsender Verzweiflung wartete sie.
Nach einer Weile zog er seine Arme über ihren Kopf und rückte von ihr ab. Offenbar hatte er sie nur festgehalten, bis seine Kräfte zurückgekehrt waren. Nun würde er über sie herfallen …
Aber stattdessen stand er auf, kehrte zum Bach zurück und trank wieder. Dann wusch er sich den Schlamm aus dem Gesicht und den Haaren, was seinen gefesselten Händen sichtlich schwerfiel. Erin richtete sich auf, doch da wurde ihr schwarz vor Augen, und sie sank zu Boden und kämpfte mit sich, um nicht die Besinnung zu verlieren. Als sich die Nebelschleier in ihrem Gehirn aufgelöst hatten, stand Olaf vor ihr, Wasser tropfte aus seinem Bart. »Habt Ihr noch was zu essen?« fragte er auf Irisch. Das verblüffte sie - insbesondere, weil sie ihn’ in seiner Muttersprache beschimpft hatte.
Mit einiger Mühe stand sie auf und erwiderte tonlos: »In meinen Satteltaschen.«
Er packte sie an den Haaren und zog sie zu der friedlich grasenden Stute. Mit zitternden Fingern wühlte Erin in den ledernen Taschen. Als sie sich umdrehte, um dem Wikinger Brot und Dörrfleisch zu reichen, hielt sie den Atem an. Vor Überraschung ließ sie das Essen fallen. Er hatte die Augen geschlossen, und an seinen Schläfen traten vor Anstrengung die Adern hervor, während er seine Handgelenke mit aller Kraft gegen die Fessel stemmte. Der Lederriemen riss und landete am
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