01 - Gnadenlos
oft genug herausgefordert.«
Maxwell akzeptierte die Erklärung widerspruchslos, doch innerlich wünschte er, sein bester Informant über die örtlichen Gegebenheiten hätte einen Rang, der seiner Erfahrung entsprach. Allerdings erinnerte er sich auch daran, daß es bei den Kampfeinsätzen, die von der guten alten Enterprise aus geflogen wurden, in den unteren Rängen Piloten gegeben hatte, die über ausreichend Grips verfügten, um Kommandeur einer Kampfgruppe zu werden. Außerdem wußte er, daß die besten Hubschrauberpiloten aus den Reihen der Zeitsoldaten stammten, die in Fort Rucker ausgebildet wurden. In diesen Tagen konnte man sich keinen Standesdünkel leisten.
»Song Tay hatte einen Fehler«, stellte Kelly nach einer Pause fest.
»Und der wäre?«
»Wahrscheinlich hat die Vorbereitungsphase zu lange gedauert. Irgendwann ist der Bogen überspannt. Wenn man die richtigen Leute ausgesucht hat, sind ein paar Wochen genug. Alles, was darüber hinausgeht, sind nur Schönheitskorrekturen.«
»Sie sind nicht der erste, der das sagt«, versicherte ihm Maxwell.
»Wird das ein Einsatz für die SEALs?«
»Keine Ahnung, Kelly. Ich gebe Ihnen zwei Wochen, und wir kümmern uns derweilen um die anderen Einzelheiten des Auftrags.«
»Wie halten wir Verbindung?«
Maxwell legte einen Ausweis für das Pentagon auf den Tisch. »Keine Telefongespräche und keine Briefe, sondern alles nur unter vier Augen.«
Kelly begleitete ihn zum Hubschrauber. Sobald die Besatzung den Admiral erblickte, ließ sie die Motoren des SH-2 Sea Sprite an. Kelly griff Maxwell am Arm, als die Rotoren sich zu drehen begannen.
»War der Feind von Song Tay informiert?«
Maxwell erstarrte in seiner Bewegung. »Warum fragen Sie das?«
Kelly nickte. »Das genügt mir schon als Antwort, Admiral.«
»Wir wissen es nicht, John.« Maxwell duckte sich unter den Rotorblättern und stieg in den Helikopter. Beim Abheben ertappte er sich erneut bei dem Wunsch, Kelly hätte die Einladung, die Offiziersschule zu besuchen, angenommen. Der Junge war klüger, als ihm bisher bewußt geworden war, und der Admiral nahm sich vor, sich bei Kellys früherem Kommandanten nach weiteren Einzelheiten zu erkundigen. Außerdem fragte er sich, wie der junge Mann auf seine offizielle Wiedereinberufung in den aktiven Dienst reagieren würde. Es war eine Schande, sein Vertrauen auf diese Weise zu enttäuschen - denn so mußte er es ja wohl auffassen. Doch während der Sea Sprite abdrehte und sich nach Nordosten wandte, kehrten Maxwells Gedanken zu den zwanzig Soldaten zurück, die sie in SENDER GREEN vermuteten, und er hielt sich vor Augen, daß er zuerst und vor allem ihnen verpflichtet war. Abgesehen davon konnte Kelly eine Ablenkung von seinen persönlichen Problemen vielleicht ganz gut brauchen. Mit diesen Gedanken tröstete sich der Admiral.
Kelly sah dem Hubschrauber nach, bis er vom Morgendunst verschluckt wurde. Dann ging er zu seiner Werkstatt. Normalerweise hätte er zu dieser Stunde körperlich erschöpft, aber geistig entspannt sein müssen. Seltsamerweise war genau das Gegenteil der Fall. Zwar war er von der Kondition her noch nicht ganz der alte, aber seine Schulter reagierte auf die Tortur nach den gewohnten Anfangsschmerzen mit beachtlicher Gutmütigkeit. Nachdem er das übliche Muskelreißen im Anschluß an das Training überstanden hatte, begann nun die Phase der Euphorie. Und die würde den ganzen Tag über anhalten, vermutete Kelly. Trotzdem wollte er wegen des für den folgenden Tag angesetzten harten Trainings früh schlafen gehen, denn jetzt war es an der Zeit, daß er seine Fortschritte mit der Stoppuhr festhielt. Der Admiral hatte ihm eine Frist von zwei Wochen gelassen. Etwa den gleichen Zeitraum hatte er sich selbst für seine völlige Genesung zugestanden. Jetzt war also eine härtere Gangart angesagt.
Unabhängig von Größe und Zweck waren sich sämtliche Marinestützpunkte zum Verwechseln ähnlich. Ein paar Dinge gehörten zur Grundausstattung, und eins davon war eine Werkstatt. Auf Battery Island waren sechs Jahre lang Spezialboote zur Rettung abgestürzter Flugzeugbesatzungen stationiert gewesen, und zu ihrer Wartung, um defekte Maschinenteile zu reparieren oder nachzufertigen, gab es eine Werkstatt mit den entsprechenden Maschinen. Die Sammlung, die Kelly zur Verfügung stand, hätte man gut und gern auch auf einem Zerstörer finden können, und nach dem Prinzip war sie wahrscheinlich auch zusammengestellt worden - Navy-Werkstatt-Modell
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