01 - Gnadenlos
hingehörten.
Der nächste Schritt war der wichtigste. Deshalb ließ Kelly sich beim Einrichten der Maschine Zeit und überprüfte alle Einstellungen mindestens fünfmal. Erst dann - nach einem tiefen Seufzer - betätigte er den Griff zur abschließenden Gewindebohrung. Diesen Vorgang hatte er bisher nur ein paarmal beobachtet, aber noch nie selbst ausgeführt, und obwohl er mit Werkzeugmaschinen recht gut umgehen konnte, war er lediglich ein früherer Bosun's Mate und kein Maschinist. Schließlich schraubte er den Schalldämpfer aus dem Schraubstock und setzte die Pistole wieder zusammen. Mit einer Schachtel .22er Long-Rifle-Munition ging er nach draußen.
Daß sein Colt so groß und schwer war, hatte Kelly noch nie gestört, doch die Munition für den .45er ACP kostete weitaus mehr als die Patronen für eine .22er Rimfire. Aus diesem Grunde hatte er sich letztes Jahr einen Wechsellauf gekauft, der es ihm ermöglichte, die kleineren Kugeln mit seiner Pistole abzufeuern. Er stieß eine Coladose ungefähr fünf Meter von sich fort bevor er drei Kugeln in das Magazin lud. Sich jetzt auch noch einen Ohrenschutz zu holen, war ihm zu lästig. Wie immer stellte er sich entspannt und mit locker herabhängenden Armen hin. Dann riß er die Pistole in Anschlag und nahm leicht geduckt Schußposition ein. Die Waffe umklammerte er mit beiden Händen. Sogleich aber ließ Kelly sie wieder sinken, denn erst jetzt merkte er, daß ihm die auf den Lauf geschraubte Dose die Sicht raubte. Das war ein Problem. Er zog die Pistole erneut hoch und feuerte die erste Kugel ab, ohne sein Ziel im Blick zu haben. Das Ergebnis fiel nicht weiter überraschend aus: Beim Nachsehen fand er die Cola-Dose unbeschädigt. Das war unerfreulich. Dafür hatte aber der Schalldämpfer seine Aufgabe erfüllt. Zwar wird das Geräusch eines Schusses aus einer Pistole mit Schalldämpfer bei Film und Fernsehen oft als leiser Pfiff wiedergegeben, aber im Grunde gleicht es bei einer guten Abdämpfung eher dem Kratzen einer Metallbürste auf poliertem Holz. Das aus der Patrone austretende Gas wurde in den Schallwänden festgehalten, während die Kugel durch die Löcher nach außen schoß. Das austretende Gas blieb im geschlossenen Raum im Inneren der Dose. Die sieben inneren Schallwände - der Deckel diente als Nummer acht - dämmten die Schallwellen ein, und so wurde der Knall zu einem Flüstern.
So weit, so gut, dachte Kelly, doch wenn man seine Zielperson verfehlte, würde sie höchstwahrscheinlich die weitaus lauteren Geräusche hören, die der Schlitten beim Vorund Zurückschnellen machte. Und diese mechanischen Geräusche einer Waffe ließen sich kaum als harmlos interpretieren. Daß er eine Getränkedose aus fünf Meter Entfernung verfehlte, sprach nicht gerade für seine Eigenkonstruktion. Natürlich war der Kopf eines Menschen größer, aber das gleiche galt leider nicht für sein eigentliches Zielgebiet im Inneren des Kopfes. Kelly entspannte sich und versuchte es erneut; in einem weichen Bogen und dennoch schnell zog er die Pistole von der Seite in Brusthöhe. Diesmal drückte er in dem Augenblick auf den Abzug, als sich der Schalldämpfer vor sein Ziel schob. Das funktionierte einigermaßen. Die Dose kippte mit einem .22er-Loch einen Viertelzentimeter oberhalb des Rands um. Doch noch hatte Kelly den richtigen Zeitpunkt nicht erwischt. Sein nächster Schuß traf immerhin fast in die Mitte der Dose, was er mit einem Grinsen quittierte. Er nahm das Magazin heraus und lud die Pistole mit fünf einzelnen Kugeln. Eine Minute später hatte die Cola-Dose angesichts der sieben Einschußlöcher, von denen sich sechs um die Mitte gruppierten, als Ziel ausgedient.
»Du bist immer noch der alte, Johnny«, sagte Kelly zu sich selbst, während er die Waffe sicherte. Allerdings mußte er bedenken, daß es heller Tag und sein Ziel ein feststehendes knallrotes Stück Metall war. Doch Kelly wußte schon, wie er sich helfen würde. Er kehrte in die Werkstatt zurück und nahm die Pistole noch einmal auseinander. Der Schalldämpfer hatte seinen Einsatz ohne erkennbaren Schaden überstanden; trotzdem reinigte Kelly ihn und ölte die inneren Teile leicht ein. Nur eine Sache noch, dachte er. Mit einem feinen Pinsel malte er mit weißer Emaillefarbe eine gerade weiße Linie auf die Oberseite des Schlittens. Mittlerweile war es zwei Uhr. Kelly genehmigte sich eine leichte Mahlzeit bevor er mit seinem Nachmittagstraining begann.
»Was, so viel?«
»Paßt dir das etwa nicht?«
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