01 - Gnadenlos
Brett. Ein Marineleutnant schleppte eine Tafel heran und stellte sie auf ein Stativ, während Maxwell den Platz hinter dem Rednerpult einnahm. Von der Seite der Buhne aus beobachtete Sergeant Irvin die jungen Gesichter der Zuhörer. Er erinnerte sich noch einmal daran, daß er bei der Eröffnung Überraschung heucheln mußte.
»Nehmen Sie Platz, meine Herren«, begann Maxwell freundlich und wartete, bis sie alle saßen. »Lassen Sie mich zuerst einmal sagen, wie stolz ich bin, daß ich mit Ihnen zusammenarbeiten darf. Wir haben Ihr Training aufmerksam verfolgt. Sie sind hierher gekommen, ohne zu wissen, worum es geht, und trotzdem haben Sie so hart gearbeitet wie noch nie. Und jetzt sage ich Ihnen, was wir vorhaben.« Der Lieutenant nahm das Deckblatt von den Papieren auf der Anzeigetafel und enthüllte eine Luftaufnahme.
»Meine Herren, unsere Mission heißt BOXWOOD GREEN. Sie haben die Aufgabe, zwanzig Männer zu retten, amerikanische Kameraden, die sich in der Hand des Feindes befinden.«
John Kelly stand neben Irvin und beobachtete ebenfalls nicht den Admiral, sondern die Gesichter der Männer. Die meisten waren etwas jünger als er, wenn auch nicht viel. Sie blickten wie gebannt auf die Aufklärungsfotos - kein exotischer Tänzer hätte soviel Aufmerksamkeit auf sich lenken können wie die vergrößerten Aufnahmen der BüffeljägerDrohnen. Ihre Gesichter waren völlig ausdruckslos. Da sie kaum zu atmen wagten, während der Admiral zu ihnen sprach, wirkten sie wie junge, durchtrainierte, stattliche Statuen.
»Dies hier ist Colonel Robin Zacharias von der U.S. Air Force«, fuhr Maxwell fort, mit einem kurzen Zeigestock in der Hand. »Sie sehen ja selbst, was die Vietnamesen mit ihm machen, weil er zu dem Gerät aufsieht, das dieses Foto aufgenommen hat.« Der Zeigestock fuhr auf den Wächter, der gerade ausholte, um den Amerikaner von hinten zu schlagen. »Nur weil er hochgesehen hat.«
Die Marines kniffen die Augen zusammen; wie Kelly sah, ohne Ausnahme. Eine stille, entschlossene Wut hatte sich in ihnen breitgemacht, äußerst diszipliniert und deshalb tödlicher als jede andere, dachte Kelly, während er ein Lächeln unterdrückte, das nur er verstanden hätte. Und genauso fühlten die jungen Marinesoldaten im Publikum. Es war jetzt nicht die Zeit zu lächeln. Jeder der Anwesenden kannte die Gefahren, die auf sie warteten. Jeder einzelne hatte eine Spanne von mindestens dreizehn Monaten Kampfeinsatz überlebt. Jeder hatte Freunde sterben sehen, auf schrecklichste, brutalste Weise, wie sie nur die schwärzesten Alpträume ausmalen konnten. Doch man durfte das Leben nicht nur von seinen Ängsten bestimmen lassen. Vielleicht bestand es in einer ständigen Suche. Ein Pflichtbewußtsein, das die wenigsten von ihnen in Worte fassen konnten, aber das doch alle fühlten. Eine Vision von der Welt, die Männer miteinander teilen, ohne daß sie sie tatsächlich sehen müssen. Jeder der Männer im Raum hatte dem Tod in all seiner furchterregenden Erhabenheit ins Auge gesehen und war sich bewußt, daß sie alle irgendwann sterben mußten. Doch für sie bestand das Leben nicht nur darin, dem Tod auszuweichen. Das Leben mußte mit Sinn gefüllt werden, und eine Möglichkeit, dies zu tun, lag im Dienst für eine Sache. Zwar hätte keiner der anwesenden Männer sein Leben freiwillig geopfert, doch sie alle würden es riskieren und auf Gott, das Schicksal oder das Glück vertrauen, daß jeder seiner Kameraden das gleiche tun würde. Die Marines kannten die Männer auf den Fotos nicht, aber sie waren Kameraden - und damit mehr als Freunde -, denen sie sich verpflichtet fühlten. Deshalb würden sie für diese Männer ihr Leben aufs Spiel setzen.
»Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, wie gefährlich dieser Einsatz ist«, endete der Admiral, »Im Grunde kennen Sie die Gefahren besser als ich. Aber diese Männer sind Amerikaner, und sie dürfen mit Recht erwarten, daß wir sie da rausholen.«
»Erste Sahne, Sir!« rief eine Stimme im Parkett zur Überraschung der Anwesenden.
Um ein Haar hätte Maxwell die Fassung verloren. Stimmt genau, dachte er. Daraufkommt es an. Trotz aller möglichen Fehler sind wir noch immer wer.
»Vielen Dank, Dutch«, sagte Marty Young und ging zur Mitte des Podiums. »Gut, Marines, nun wissen Sie Bescheid. Sie haben sich freiwillig für dieses Training gemeldet. Und nun erwarten wir Ihre Meldung für den Kampfeinsatz. Einige von Ihnen haben Familie oder eine feste Freundin. Wir zwingen
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