Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
Vom Netzwerk:
niemanden. Der eine oder andere will vielleicht jetzt seine Meinung ändern.« Er blickte in die Runde und sah an ihren Gesichtern, daß seine bewußte Provokation ihre Wirkung erzielt hatte. »Sie haben den ganzen Tag, um es zu überdenken. Wegtreten.«
    Die Marinesoldaten erhoben sich unter dem schurrenden Geräusch der Stuhlbeine auf den Bodenfliesen, und als sie Habachtstellung eingenommen hatten, tönte ihre Summe wie eine einzige:
    »Spürhunde!«
    Wer diese Gesichter sah, brauchte nicht mehr zu zweifeln. Sie konnten ebensowenig von diesem Einsatz zurücktreten, wie sie ihre Männlichkeit verleugnet hätten. Einige lächelten jetzt sogar. Die meisten Marinesoldaten tauschten mit ihren Freunden Bemerkungen aus, und was sie vor sich sahen, war nicht die Ehre, sondern ihre Pflicht. Vielleicht hatte dieser Gedanke auch jene Männer bewegt, deren Leben sie nun retten wollten. Wir sind Amerikaner, und wir sind gekommen, um euch nach Hause zu bringen.
    »Tja, Mr. Clark, Ihr Admiral hat eine verdammt gute Rede gehalten. Schade, daß wir sie nicht aufgezeichnet haben.«
    »Sie sind alt genug, um es besser zu wissen, Irvin. Das wird eine vertrackte Angelegenheit.«
    Zu Kellys Erstaunen lächelte Irvin verschmitzt. »Ja, ich weiß. Aber wenn Sie es für so brisant halten, warum gehen Sie dann allein da rein?«
    »Weil man mich drum gebeten hat.« Kelly schüttelte den Kopf und ging auf den Admiral zu, um ein persönliches Anliegen an den Mann zu bringen.
    Diesmal schaffte sie es, gestützt aufs Geländer, schon allein die Treppe hinunter. Ihre Kopfschmerzen, die sie so geplagt hatten, waren mittlerweile erträglich, und so folgte sie dem Kaffeeduft. Aus der Küche drangen Gesprächsfetzen.
    Bei ihrem Erscheinen lächelte Sandy. »Guten Morgen!« »Hallo«, sagte Doris, noch immer bleich und schwach. Doch sie erwiderte das Lächeln, während sie in die Küche trat. »Ich habe vielleicht einen Hunger!«
    »Hoffentlich mögen Sie Eier.« Sandy führte sie zu einem Stuhl und schenkte ihr ein Glas Orangensaft ein.
    »Ich würde sogar die Schalen essen«, antwortete Doris mit einem ersten Anflug von Humor.
    »Dann nehmen Sie erst mal das hier. Die Schalen können Sie ruhig beiseite lassen«, erklärte Sarah Rosen und schob den ersten Gang eines üblichen amerikanischen Frühstücks von der Pfanne auf den Teller.
    Mit Doris ging es wieder aufwärts. Ihre Bewegungen waren noch schmerzlich langsam und ihre Koordination die eines kleinen Kindes, aber wie sich ihr Zustand in den letzten vierundzwanzig Stunden verbessert hatte, glich einem Wunder. Die Blutuntersuchung vom vorigen Tag ließ auf das Beste hoffen. Massive Dosen Antibiotika hatten den Kampf gegen die Infektionen aufgenommen, und man konnte kaum noch Nebeneffekte der Barbiturate ausmachen - das, was noch da war, rührte von der einmaligen Dosis Linderungsmittel her, die Sarah ihr verschrieben und injiziert hatte. Doch am ermutigendsten war, wie Doris aß. Ungeschickt faltete sie ihre Serviette auseinander und breitete sie auf dem Schoß über den Frotteebademantel aus. Sie schaufelte das Essen nicht in sich hinein, sondern aß ihr erstes Frühstück seit Monaten mit soviel Anstand, wie es ihre Gesundheit und ihr Hunger erlaubten. Doris wurde allmählich wieder ein Mensch.
    Aber bis jetzt wußten sie außer ihrem Namen - Doris Brown - kaum etwas über die junge Frau. Sandy schenkte sich selbst eine Tasse Kaffee ein und setzte sich an den Tisch.
    »Woher kommen Sie überhaupt?« fragte sie betont beiläufig.
    »Pittsburgh.« Ein Ort, der für ihren Hausgast so fern war wie die abgewandte Seite des Mondes.
    »Haben Sie Familie?«
    »Nur meinen Vater. Meine Mutter starb 1965 an Brustkrebs«, sagte Doris langsam. Darauf fuhr sie instinktiv mit der Hand unter den Morgenmantel. Es war das erste Mal, seit sie denken konnte, daß ihre Brüste nicht von Billys »Liebkosungen« schmerzten. Sandy sah die Bewegung und erriet ihre Bedeutung.
    »Und sonst niemand?« fragte die Krankenschwester leichthin.
    »Mein Bruder... in Vietnam.«
    »Das tut mir leid, Doris.«
    »Ist schon gut -«
    »Ich heiße Sandy, wissen Sie noch?«
    »Und ich bin Sarah«, fügte Dr. Rosen hinzu, während sie den leergegessenen Teller durch einen vollen ersetzte.
    »Danke, Sarah.« Das Lächeln war noch etwas leer, aber immerhin reagierte Doris Brown auf ihre Umgebung, was weitaus wichtiger war, als ein unbeteiligter Beobachter glauben würde. Kleine Schritte, hielt Sarah sich vor. Es müssen ja gar keine

Weitere Kostenlose Bücher