01 - Gnadenlos
hin. Nun war er an der Reihe, sich geschäftsmäßig zu geben. »Immer mit der Ruhe. Die Leute werden abhängig von dem Zeug. Wie, spielt keine Rolle. Es hilft nichts, sich darüber aufzuregen. Jetzt atme erst mal ganz tief durch, laß es langsam raus.«
Das tat Kelly, und er brachte sogar ein Lächeln über diese ganze unmögliche Situation zustande. »Du klingst genau wie mein Vater.«
»Feuerwehrleute sind kluge Burschen.« Rosen verstummte. »Also gut, deine Bekannte mag ein Problem haben. Aber sie kommt mir sehr nett vor, und du scheinst mir ein Gemütsmensch zu sein. Also sollen wir das Problem angehen, oder nicht?«
»Ich schätze, das liegt an ihr«, bemerkte Kelly, während Bitterkeit sich in seine Stimme stahl. Er fühlte sich betrogen. Er hatte wieder sein Herz verloren, und nun mußte er sich der Tatsache stellen, daß er es wohl an Drogen verloren hatte, oder an das, was Drogen aus einer Persönlichkeit gemacht hatten. Vielleicht war alles nur vergeudete Zeit gewesen.
Nun wurde Rosen ein wenig streng. »Das stimmt, es liegt an ihr, aber vielleicht liegt es auch ein bißchen an dir, und wenn du dich jetzt wie ein Idiot benimmst, wirst du ihr damit nicht gerade helfen.«
Kelly war erstaunt, wie vernünftig der Mann sich anhörte, und das unter den gegebenen Umständen. »Du bist wohl ein ziemlich guter Arzt?«
»Ich bin ein verteufelt guter Arzt«, verkündete Rosen. »Das ist nicht mein Gebiet aber Sarah ist da verdammt gut. Vielleicht habt ihr beide Glück. Sie ist kein schlimmes Mädchen, John. Etwas bedrückt sie. Sie ist wegen irgendwas nervös, falls du das noch nicht bemerkt hast.«
»Ja, schon, aber... « Und ein Teil von Kellys Gehirn sagte: Siehst du!
»Aber du hast hauptsächlich bemerkt, daß sie hübsch ist. Ich war auch mal zwanzig, John. Komm schon, wir haben vielleicht etwas Arbeit vor uns.« Er hielt inne und blickte auf Kelly. »Irgendwas kriege ich hier nicht mit. Was ist es?«
»Ich habe vor knapp einem Jahr meine Frau verloren«, erklärte Kelly in wenigen Worten.
»Und du hast gedacht, sie könnte vielleicht... «
»Ja, wahrscheinlich. Blödsinnig, nicht?« Kelly fragte sich, warum er so offen war. Warum sollte er Pam nicht einfach tun lassen, was sie wollte? Aber das war keine Antwort. Wenn er das tat, dann würde er sie bloß für seine eigennützigen Bedürfnisse benützen und sie fallenlassen, wenn der Lack ab war. Bei all den Wendungen, die sein Leben im vergangenen Jahr genommen hatte, wußte er, daß er das nicht tun konnte, nicht auch einer von diesen Männern sein konnte. Er ertappte Rosen dabei, wie dieser ihn intensiv anstarrte.
Rosen schüttelte weise sein Haupt. »Wir sind alle verletzbar. Du hast die Ausbildung und die Erfahrung, um mit deinen Problemen fertig zu werden. Sie nicht. Also komm, wir haben einiges an Arbeit vor uns.« Rosen packte mit seinen großen, zarten Händen den Handkarren und schob ihn zum Bunker hinüber.
Die kühle Luft drinnen brachte sie überraschend schnell auf den Boden der Tatsachen. Pam versuchte, Sarah zu unterhalten, hatte aber keinen Erfolg damit. Vielleicht hatte Sarah es den ungewohnten Umständen zugeschrieben, aber Ärzte sind im Geiste ununterbrochen bei der Arbeit, und mittlerweile betrachtete sie die Person, die da vor ihr saß, mit professionellem Interesse. Als Sam ins Wohnzimmer trat, wandte Sarah sich um und warf ihm einen Blick zu, den Kelly sofort verstand.
»Und, na ja, dann bin ich mit sechzehn von zu Hause abgehauen«, sagte Pam gerade mit eintöniger Stimme, die mehr verriet als sie ahnte. Auch sie sah sich um, und ihr Blick blieb sofort an dem Rucksack in Kellys Händen hängen. Ihre Stimme hatte einen überraschend spröden Unterton, der Kelly bisher noch nie aufgefallen war.
»Oh, toll. Ich brauch was von den Sachen.« Sie kam herüber, nahm Kelly den Rucksack aus den Händen und steuerte dann auf das Schlafzimmer zu. Kelly und Rosen sahen ihr nach, dann gab Sam den Plastikbehälter seiner Frau. Sie brauchte nur einen Blick darauf zu werfen.
»Ich hatte keine Ahnung«, sagte Kelly in dem Bedürfnis, sich zu verteidigen. »Ich hab nicht gesehen, daß sie was genommen hat.« Er versuchte sich an die Zeiten zu erinnern, wo sie nicht in seinem Blickfeld gewesen war, und kam zu dem Schluß, daß sie wohl zwei- oder dreimal Pillen geschluckt haben könnte; da wurde ihm erst klar, wo sie ihren Schlafzimmerblick her hatte.
»Sarah?« fragte Sam.
»Dreihundert Milligramm. Dürfte kein besonders schwerer Fall
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