01 - Gnadenlos
sollten, würde es andererseits auch bedeuten, daß das in den Köpfen jener Amerikaner eingeschlossene Wissen für sein Land verloren war, und an dieses Wissen mußten sie unbedingt herankommen.
Wie lange, fragte er sich, konnte er die Angelegenheit ruhenlassen? Die Amerikaner gingen rasch vor, andererseits aber nicht zu rasch. Die Mission war vom Weißen Haus erst vor etwa einer Woche gebilligt worden. Alle Bürokratien glichen sich schließlich. In Moskau würde es ewig dauern. Die Operation KINGPIN hatte sich endlos hingezogen, sonst wäre sie vielleicht ein Erfolg gewesen. Nur durch den glücklichen Zufall mit jenem untergeordneten Agenten aus den Südstaaten der USA hatten sie Hanoi warnen können, gerade noch in letzter Minute - doch jetzt waren sie wirklich vorgewarnt.
Die Politik war von den Geheimdienstunternehmen nicht zu trennen. Bisher war ihm vorgeworfen worden, Angelegenheiten zu verzögern - zu solchen Klagen würde er ihnen keinen Anlaß mehr geben. Selbst Satellitenstaaten sollten als Genossen behandelt werden. Der General hob den Telefonhörer ab, um einen Mittagstermin zu vereinbaren. Er würde seinen Kontaktmann in die Botschaft einladen, nur um sicherzugehen, daß er etwas Vernünftiges zu essen bekam.
29 Als letzter raus
Es machte allen Spaß, zuzusehen. Die fünfundzwanzig Marines schlossen gerade ihren Frühsport mit einem Dauerlauf um die auf dem Deck abgestellten Hubschrauber ab. Die Matrosen schauten stumm zu. Es hatte sich herumgesprochen. Zu viele Matrosen hatten den Seeschlitten gesehen, und wie professionelle Geheimdienstoffiziere hatten sie beim Essen in der Messe die wenigen Fakten zusammengefügt und sie mit Spekulationen garniert. Die Marines sollten in den Norden vorstoßen. Wohin genau, wußte niemand, aber jeder stellte sich diese Frage. Vielleicht, um eine Raketenstellung zu zerlegen und wertvolles Anschauungsmaterial mitzubringen. Vielleicht auch, um eine Brücke zu sprengen, doch am ehesten ging es wohl um Menschen. Vielleicht die vietnamesische Parteiführung.
»Gefangene«, sagte ein Bosun's Mate, während er seinen in der Navy »Slider« genannten Hamburger verdrückte. »Es müssen Gefangene sein«, fügte er hinzu, während er mit dem Kopf zu dem neu eingetroffenen Medizinerteam hinwies, das an einem eigenen, abgesonderten Tisch aß. »Sechs Sanitäter, vier Ärzte, schrecklich viel Aufwand, Leute. Was meint ihr, weswegen die hier sind?«
»Himmel, natürlich«, bemerkte ein anderer Matrose, der an seiner Milch nuckelte. »Du hast völlig recht, Mann.«
»Könnte ein Ruhmesblatt für uns werden, Wenn's klappt«, meinte ein anderer.
»Scheißwetter heute abend«, warf ein Quartermaster ein. »Der Wetterfrosch der Flotte hat sich eins gegrinst, dabei habe ich den Kerl gestern abend gesehen, wie er sich die Seele aus dem Leib gekotzt hat. Ich schätze, der verträgt nichts, was kleiner als ein Flugzeugträger ist.« Die USS Ogden hatte wirklich eine rauhe Fahrt, was auch mit ihrer Bauart zusammenhing, und da sie zudem breitseits im böigen Westwind schlingerte, war alles noch schlimmer. Es machte immer Spaß, einen Unteroffizier seine Mahlzeit - in diesem Fall das Abendessen - wieder von sich geben zu sehen, und es widersprach der Logik, daß ein Mann froh über Wetterbedingungen war, die ihn seekrank machten. Da mußte schon ein triftiger Grund dahinterstecken. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand, und sie war genau das, was einen Sicherheitsoffizier nur zur Verzweiflung bringen konnte.
»Herrgott, hoffentlich schaffen sie's.«
»Grasen wir noch mal das Flugdeck nach Schafen ab«, schlug ein junger Bosun's Mate vor. Reihum wurde genickt. Ein Arbeitstrupp war rasch zusammengestellt. Binnen einer Stunde würde nicht einmal soviel wie ein Streichholz auf dem schwarzen, rutschfesten Belag zu sehen sein.
»Ein toller Haufen, Captain«, bemerkte Dutch Maxwell, der von der Steuerbordseite der Brücke die Gruppe das Flugdeck absuchen sah. Immer wieder bückte sich ein Mann und hob etwas auf, einen Fremdkörper, der unter Umständen ein Triebwerk kaputtmachen konnte, was dann »SCHAF«, »Schaden durch Fremdkörper«, genannt wurde. Was immer auch in der Nacht schiefging, am Schiff und seiner rührigen Besatzung würde es nicht liegen.
»Da sind eine Menge Jungs vom College darunter«, erwiderte Franks, der seinen Leuten mit Stolz zusah. »Manchmal denke ich, die Deckabteilung ist so schlau wie mein Offiziersstab.« Was eine durchaus verzeihliche Übertreibung war.
Weitere Kostenlose Bücher