01 - Gnadenlos
Franks wollte eigentlich etwas ganz anderes sagen, das gleiche, was alle dachten. Was rechnen Sie sich für Chancen aus? Er behielt den Gedanken für sich. Das würde nämlich schlimmstes Unglück bringen. Selbst ihn laut zu denken, könnte den Auftrag gefährden, doch sosehr er sich auch bemühte, er konnte nicht verhindern, daß ihm die Worte in den Kopf kamen.
In ihrem Mannschaftsquartier waren die Marines um ein Sandkastenmodell des Angriffsziels versammelt. Sie hatten die Mission bereits einmal besprochen und taten es nun noch mal. Vor dem Mittagessen würde das Ganze ein weiteres Mal wiederholt werden, und noch viele Male danach, mit der kompletten Gruppe und in den einzelnen Teams. Jeder konnte alles schon mit geschlossenen Augen sehen, denn er dachte an das Übungsgelände in Quantico und durchlebte noch einmal den Gefechtsdurchgang mit scharfer Munition.
»Captain Albie, Sir!« Ein Signalmaat betrat die Kabine. Er übergab eine Meldung. »Nachricht von Mr. Schlange.«
Der Captain der Marines grinste. »Danke, haben Sie sie gelesen?«
Der Signalmaat wurde richtig rot. »Entschuldigen Sie, Sir, ja, das hab ich. Alles in Ordnung.« Er zögerte eine Weile, bevor er eine eigene Meldung hinzufügte. »Sir, meine Abteilung wünscht Ihnen viel Glück. Zeigen Sie's ihnen, Sir.«
»Wissen Sie, Skipper«, sagte Sergeant Irvin, als der Signalmaat verschwunden war, »es könnte sein, daß ich keinen solchen Deckschrubber mehr vermöbeln kann.«
Albie las die Meldung. »Leute, unser Freund ist vor Ort. Er hat vierundzwanzig Wachleute, vier Offiziere und einen Russen gezählt. Ganz normaler Dienstablauf, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse.« Der junge Captain blickte auf. »Also dann. Marines. Heute nacht geht's los.«
Einer der jüngeren Marines griff in seine Hosentasche und zog ein breites Gummiband heraus. Er zerriß es, malte mit seinem Stift zwei Augen drauf und legte es dann auf den Hügel im Modell, der mittlerweile der »Schlangenhügel« genannt wurde. »Der Bursche«, sagte er seinen Teamgenossen, »ist ein echt klasse Draufgänger.«
»Die Leute, die Feuerunterstützung geben, mal herhören!«, verkündete Irvin laut. »Denkt bitte daran, daß er den Berg runterrasen wird, sobald wir aufkreuzen. Hütet euch, ihm eins auf den Pelz zu brennen.«
»Klarer Fall, Gunny«, sagte der Anführer der Schützen.
»Marines, wir brauchen jetzt was zwischen die Kiemen. Ich möchte, daß ihr euch heute nachmittag ausruht. Eßt eure Rübchen. Ihr braucht Luchsaugen im Dunkeln. Waffen sind um siebzehn Uhr zerlegt und gereinigt zur Inspektion vorzuführen«, sagte ihnen Albie. »Ihr wißt alle, worum es geht. Wenn ihr kühlen Kopf bewahrt, dann kriegen wir das auch hin.« Für ihn war es Zeit, sich noch einmal mit den Hubschrauberbesatzungen zu einem letzten Blick auf die Flugrouten zu treffen.
»Aye aye, Sir«, sagte Irvin für seine Männer.
»Hallo Robin.«
»He, Kolja«, sagte Zacharias schwach.
»Ich versuche immer noch, besseres Essen für dich zu kriegen.«
»Das wäre schön«, sagte der Amerikaner anerkennend.
»Probier mal das hier.« Grischanow gab ihm ein Stück Schwarzbrot, das seine Frau ihm geschickt hatte. In dem Klima hier war es schimmlig geworden, aber Kolja hatte das schon weggeschnitten. Der Amerikaner verschlang es jedenfalls mit Heißhunger. Ein Schluck aus der Feldflasche des Russen half noch etwas nach.
»Ich werde dich in einen Russen verwandeln«, sagte der sowjetische Luftwaffenoberst mit einem unkontrollierten Auflachen. »Wodka und gutes Brot gehören zusammen. Ich würde dir gerne meine Heimat zeigen.« Er äußerte dies bloß, um den Keim einer Idee zu pflanzen, in ganz freundlichem Ton, so wie Männer unter sich reden.
»Ich habe eine Familie, Kolja. So Gott will... «
»Ja, Robin, so Gott will. Oder Nordvietnam oder auch die Sowjetunion. Oder irgendwer.« Diesen Mann und auch die anderen hier würde er schon retten. So viele waren jetzt seine Freunde. Er wußte eine Menge von ihnen, von ihren guten oder schlechten Ehen, ihren Kindern, ihren Hoffnungen und Träumen. Diese Amerikaner waren so sonderbar, so offen. »Und auch wenn die Chinesen sich entschließen, Moskau zu bombardieren, dann habe ich jetzt einen Plan, der sie daran hindern wird.« Er breitete die Karte aus und legte sie auf den Boden. Das war das Ergebnis seiner Gespräche mit dem amerikanischen Kollegen. Alles, was er erfahren und analysiert hatte, war auf einem einzigen Stück Papier aufgeschrieben. Grischanow
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