01 - Gnadenlos
war ziemlich stolz darauf, nicht zuletzt weil es die klare Darstellung eines höchst ausgeklügelten Operationsplans enthielt.
Zacharias fuhr mit dem Finger darüber, las die Eintragungen in Englisch, was auf einer Landkarte mit kyrillischen Buchstaben unpassend aussah. Er lächelte anerkennend. Ein heller Kopf, dieser Kolja, der rasch dazulernte. Wie er seine Einsatzkräfte staffelte, wie er die Flugzeuge eher nach rückwärts als nach vorwärts patrouillieren ließ. Jetzt verstand er gründlich was von Verteidigung. Hinter den am ehesten in Frage kommenden Gebirgspässen standen Boden-Luft-Raketen wie eine Mausefalle bereit, um für das größtmögliche Überraschungsmoment zu sorgen. Kolja dachte nun eher wie ein Bomberpilot als wie ein Jagdflieger. Das war der erste Schritt zum Verständnis derartiger Vorgänge. Wenn jeder russische Luftverteidigungskommandant das verstünde, dann hätte das Strategische Luftkommando der USA schwere Zeiten vor sich...
Mein Gott.
Robins Hand verharrte regungslos.
Das hier geht ja gar nicht um die Rotchinesen.
Zacharias blickte auf, und sein Gesicht verriet bereits, was er dachte, noch bevor er die Kraft aufbringen konnte, zu sprechen.
»Wie viele Badger haben die Chinesen?«
»Jetzt? Fünfundzwanzig. Sie sind dabei, mehr zu bauen.«
»Du kannst alles weiterentwickeln, was ich dir gesagt habe.«
»Das werden wir müssen, so wie sie ihre Streitkräfte ausbauen, Robin. Das habe ich dir schon gesagt«, meinte Grischanow rasch und leise, doch es war schon zu spät, das konnte er sehen, zumindest in einer Hinsicht.
»Ich habe dir alles verraten«, sagte der Amerikaner, während er auf die Karte hinuntersah. Dann schloß er die Augen, und seine Schultern zitterten heftig. Grischanow nahm ihn in die Arme, um den Schmerz, den er sah, zu lindern.
»Robin, du hast mir gesagt, wie ich die Kinder in meiner Heimat schützen kann. Ich habe dich nicht angelogen. Mein Vater hat wirklich die Universität verlassen, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Ich bin tatsächlich als Kind aus Moskau evakuiert worden. Ich habe in jenem Winter auch Freunde im Schnee verloren - kleine Buben und Mädchen, Robin, Kinder, die erfroren sind. Das ist so passiert. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Und ich habe mein Vaterland verraten«, flüsterte Zacharias. Die Erkenntnis war ihm mit dem Tempo und der Gewalt einer fallenden Bombe gekommen. Wie hatte er so blind, so dumm sein können? Robin lehnte sich zurück, denn plötzlich spürte er Schmerzen in der Brust. Er betete in diesem Augenblick, es möchte ein Herzanfall sein, wünschte sich zum erstenmal in seinem Leben den Tod. Aber so war es nicht. Nur sein Magen hatte sich verkrampft und eine große Menge Säure ausgestoßen. Geschah ihm eigentlich ganz recht, wenn es seinen Magen so zerfraß, wie sein Verstand an den Schutzwällen seine Seele nagte. Er hatte den Treueschwur für sein Vaterland und für seinen Gott gebrochen. Er war verflucht.
»Mein Freund... «
»Du hast mich benutztl« zischte Robin, der sich abzuwenden versuchte.
»Robin, jetzt hör mir bitte mal gut zu.« Grischanow ließ nicht locker. »Ich liebe meine Heimat, Robin, wie du deine. Ich habe einen Eid geschworen, sie zu verteidigen. Ich habe dir nie etwas vorgelogen, und jetzt ist es wohl Zeit, daß du auch noch etwas anderes erfährst.« Sein Freund mußte verstehen, Kolja mußte es ihm klarmachen, so wie Robin dem Russen so viele Dinge verdeutlicht hatte.
»Was denn?«
»Robin, du bist ein toter Mann. Die Vietnamesen haben deinem Land mitgeteilt, du seist tot. Du wirst nie wieder heimkehren dürfen. Deshalb bist du nicht im Gefängnis - Hoa Lo, Hilton, so nennt ihr es doch, oder?« Es gab Koljas Seele einen Stich, als Robin ihn ansah. Dieses anklagende Gesicht war fast nicht zu ertragen. Als er wieder sprach, lag geradezu ein bittender Tonfall in seiner Stimme.
»Was du jetzt denkst, ist falsch. Ich habe bei meinem Vorgesetzten darum gebettelt, daß ich euer Leben retten darf. Ich schwöre es dir beim Leben meiner Kinder. Ich werde dich nicht sterben lassen. Du wirst nicht mehr nach Amerika gehen können. Aber ich werde für dich ein neues Zuhause schaffen. Du wirst wieder fliegen können, Robin! Du wirst ein neues Leben führen. Mehr kann ich nicht tun. Wenn ich dich deiner Ellen und deinen Kindern wiedergeben könnte, ich täte es. Ich bin kein Ungeheuer, Robin. Ich bin ein Mann wie du. Ich habe ein Vaterland wie du. Ich habe eine Familie wie du. Im Namen deines
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