01 - Gnadenlos
für seinen Freund eine Bedrohung darstellen konnten. Und das mußte abgestellt werden.
Sie benutzten also ein Boot. Dieser gottgesandte Zufall gab der Küstenwache die Möglichkeit, an einer Festnahme teilzunehmen und sein Image bei ihr aufzupolieren. Das konnte auch nicht schaden, nachdem er sie vorgeschoben hatte, um dafür zu sorgen, daß Angelo Vorano umgebracht wurde, dachte Lieutenant Charon, während er im Ruderhaus in sich hinein grinste.
»Nehmen wir sie jetzt gleich hoch?« fragte Oreza.
»Ja. Die Leute, an die sie ausliefern, haben wir unter Kontrolle. Aber erzählen Sie das niemandem«, fügte er hinzu. »Wir wollen ihnen keine Schwierigkeiten machen.«
»Recht haben Sie.« Der Quartermaster drückte den Gashebel durch und drehte das Ruder nach Steuerbord. »Aufwachen, Leute«, rief er seiner Besatzung zu.
Die erhöhte Geschwindigkeit drückte das Heck des Bootes tiefer ins Wasser. Das Gebrumm des Dieselmotors weckte die Lebensgeister des Bootsführers, und das kleine Stahlrad vibrierte unter seinen Händen, als er den neuen Kurs einstellte. Es würde ihm Spaß machen, sie zu überraschen. Obwohl die Küstenwache der oberste Gesetzeshüter auf dem Wasser war, beschränkte sich ihre Tätigkeit gewöhnlich auf Such- und Rettungsaktionen, und bis jetzt brachte man sie nicht in Zusammenhang mit einer Drogenrazzia. Zu schade, dachte Oreza. In den letzten Jahren hatte er gelegentlich einige Männer von der Küstenwache dabei erwischt, wie sie Shit rauchten, und von dem Wutanfall, den er dann jedesmal bekommen hatte, sprachen die Augenzeugen heute noch.
Das fragliche Objekt, ein etwa zehn Meter langes Fischerboot, wie sie zu Hunderten die Bucht durchkreuzten, war jetzt deutlicher zu sehen. Wahrscheinlich wurde es von einem alten Chevrolet-Motor angetrieben und war deshalb bestimmt nicht schneller als das Polizeiboot. War ja nicht das schlechteste, wenn man sich eine Tarnung zulegte, dachte Oreza mit einem Grinsen, aber es zeugte nicht gerade von Klugheit, wenn man sein Leben und seine Freiheit auf eine einzige Karte setzte, sei sie auch noch so gut.
»Es muß alles so aussehen wie ein Routineeinsatz«, warnte der Polizist.
»Sehen Sie sich mal um, Chef«, war die Antwort. Man sah der Besatzung nicht an, daß sie in Alarmbereitschaft war, und ihre Waffen steckten nach wie vor im Holster. Sie steuerten fast in direktem Kurs auf ihre Wachstation Thomas Point zu, und wenn sie den anderen überhaupt auffielen - obwohl keiner von ihnen in ihre Richtung blickte -, dann würden diese anderen höchstwahrscheinlich annehmen, daß das Polizeiboot den heimischen Hafen anlaufen wollte. Jetzt waren es noch fünfhundert Meter Abstand. Oreza drückte den Gashebel bis zum Anschlag durch, um noch ein oder zwei Knoten mehr Fahrt zu machen und die anderen auch wirklich überholen zu können.
»Da drüben ist Mr. English«, rief ein Mitglied der Mannschaft. Das andere Zwölfmeter-Boot kam ihnen von der Wachstation entgegen. In gerader Linie steuerte es allem Anschein nach den Leuchtturm an, der ebenfalls von der Wachstation betreut wurde.
»Besonders klug stellen die sich ja nicht gerade an«, bemerkte Oreza.
»Wenn sie klug wären, würden sie nicht gegen das Gesetz verstoßen.«
»Da haben Sie recht.« Dreihundert Meter noch, und jetzt wandte einer den Kopf und erblickte die strahlend weißen Umrisse des kleinen Wachbootes. Auf dem fraglichen Objekt befanden sich drei Personen, und derjenige, der das Polizeiboot entdeckt hatte, beugte sich vor, um mit dem Mann am Steuerrad zu sprechen. Es war fast schon ein komischer Anblick. Oreza konnte sich jedes Wort ihres Dialogs denken. Da draußen ist ein Boot der Küstenwache. Ach reg dich nicht auf, wahrscheinlich haben sie einfach nur Schichtwechsel. Sieh mal, da kommt ja auch schon das andere Boot... O je, das gefällt mir aber gar nicht... Reg dich ab, verdammt noch mal! Das gefällt mir ganz und gar nicht. Beruhige dich, um Himmels willen, sie haben kein Blaulicht an, und ihre Station liegt direkt vor uns.
Genau der richtige Augenblick. Oreza lächelte in sich hinein. Genau der Augenblick für... o Scheiße!
Immer noch grinsend beobachtete er, was dann folgte. Der Typ am Steuerrad drehte sich um, sein Mund ging auf und wieder zu, nachdem er genau dieselben zwei Worte gesprochen hatte. Eines der jüngeren Mannschaftsmitglieder las ihm die Worte von den Lippen ab und lachte laut auf.
»Ich glaube, jetzt haben sie's begriffen, Skipper.«
»Macht das Blaulicht an«,
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