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01 - Gott schütze dieses Haus

01 - Gott schütze dieses Haus

Titel: 01 - Gott schütze dieses Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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den Löffel ab und begann, sie zu füttern, ein mühsames Unterfangen, bei dem jeder hinuntergebrachte Schluck Suppe ein kleiner Sieg war.
    Er ließ sie nicht sprechen. Er hatte zu große Angst vor dem, was sie sagen würde. Statt dessen beschwichtigte er sie mit geflüsterten Worten der Liebe und Ermutigung, während er sich fragte, wer sie war und welch schrecklichen Kummer sie in sein Leben getragen hatte.
    Sie waren noch kein Jahr verheiratet, aber ihm schien, sie wären immer schon zusammengewesen, wären von dem Moment an füreinander bestimmt gewesen, als sein Vater sie vom King's-Cross-Bahnhof ins Testament House gebracht hatte - ein ernsthaftes, zartes Mädchen, das aussah, als wäre es höchstens zwölf Jahre alt. Diese wunderschönen großen Augen, hatte er gedacht, als er sie das erstemal sah. Und ihr Lächeln war wie Sonnenschein. Schon nach wenigen Wochen wußte er, daß er sie liebte; aber es dauerte fast zehn Jahre, ehe sie seine Frau wurde.
    In dieser Zeit hatte er sich entschieden, Geistlicher zu werden und mit seinem Vater zusammenzuarbeiten, hatte sich geplagt wie Jakob, eine Rachel zu gewinnen, bei der er nie sicher sein konnte, ob sie ihn erhören würde. Doch das hatte ihn nicht entmutigen können. Nur Nell hatte er haben, wollen. Keine andere.
    Aber sie ist nicht Nell, dachte er. Ich weiß nicht, wer sie ist. Und das schlimmste ist, daß ich nicht einmal sicher bin, ob ich es überhaupt wissen will.
    Er hatte sich immer als einen Mann der Tat gesehen, einen Mann, der den Mut und die Kraft seiner Überzeugung besaß und dennoch ein Mann des Friedens war. Dieses Bild war an diesem Abend zerstört worden. Ihr Anblick - wie sie in der Wanne gestanden und besinnungslos ihren Körper zerfetzt, das Wasser mit ihrem Blut gefärbt hatte - dieser Anblick hatte genügt, um das sorgsam gepflegte Bild innerhalb von zwei Minuten zersplittern zu lassen; die Zeit, die er gebraucht hatte, die laut Schreiende aus der Wanne zu ziehen, sie in Tücher einzuhüllen, um irgendwie die Blutungen zu stoppen, die Polizeibeamtin hinauszuwerfen.
    In diesen zwei Minuten war aus dem friedliebenden, aufrichtigen Diener Gottes ein rasender Fremder geworden, der ohne Überlegung jeden hätte töten können, der seiner Frau Schaden zufügen wollte. Er war bis ins Innerste erschüttert, um so mehr, wenn er daran dachte, daß er sie zwar vielleicht vor ihren Feinden schützen konnte, aber nicht wußte, wie er Nell vor sich selbst schützen sollte.
    Aber sie ist nicht Nell, dachte er wieder.
    Sie hatte fertiggegessen, seit ein paar Minuten schon, und hatte sich wieder niedergelegt. Die Kissen unter ihr waren blutbefleckt. Er stand auf.
    »Jo -«
    »Ich hole nur was für die Wunden. Ich bin gleich wieder da.«
    Er versuchte, den entsetzlichen Zustand des Badezimmers zu ignorieren, während er im Schrank herumsuchte. Die Wanne sah aus, als hätte man ein Tier in ihr geschlachtet. Überall war Blut, in jedem Spalt und jeder Ritze. Seine Hand zitterte unkontrollierbar, als er die Flasche mit dem Wasserstoffsuperoxid nahm. Er hatte Angst, er würde ohnmächtig werden.
    »Jonah?«
    Er schöpfte ein paarmal tief Atem und ging wieder ins Schlafzimmer.
    »Verzögerte Reaktion.« Er versuchte zu lächeln und hielt die Flasche so fest, daß er glaubte, sie würde in seinen Händen zerbrechen. Er setzte sich auf die Bettkante. »Die meisten Wunden sind nicht tief«, sagte er im Konversationston. »Mal sehen, wie es morgen aussieht. Wenn es schlimm ist, fahren wir ins Krankenhaus. Was meinst du?«
    Sie schwieg, und er wartete nicht auf eine Antwort. Er tupfte die offenen Stellen mit dem Wasserstoffsuperoxid ab und fuhr entschlossen zu sprechen fort.
    »Ich hab' mir überlegt, daß wir am Wochenende nach Penzance fahren könnten, Schatz. Es würde uns guttun, ein paar Tage wegzukommen, meinst du nicht? Eins von den Mädchen hat mir von einem Hotel dort unten erzählt, wo sie als Kind mal mit ihren Eltern war. Es muß ganz wunderbar sein. Mit Blick auf den Mont Saint Michel. Wir könnten den Zug nehmen und uns unten dann ein Auto mieten. Oder Fahrräder. Hättest du Lust, Fahrräder zu mieten, Nell?«
    Er fühlte ihre Hand an seiner Wange. Er merkte plötzlich, wie nahe er den Tränen war.
    »Jo«, sagte sie leise. »Nell ist tot.«
    »Sag so was nicht«, entgegnete er heftig.
    »Ich habe schreckliche Dinge getan. Ich kann es nicht ertragen, daß du sie erfahren sollst. Ich dachte, ich wäre vor ihnen sicher; ich wäre ihnen für immer

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