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01 - Gott schütze dieses Haus

01 - Gott schütze dieses Haus

Titel: 01 - Gott schütze dieses Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Gesicht, das seine Aufmerksamkeit fesselte. Ein ruhiges Gesicht mit klaren Augen und einem Ausdruck offener Zuwendung. Sie hätte Missionarin sein können. Oder eine Vision. Aber sie bot ihm die Hand und ließ keinen Zweifel daran, daß sie Wirklichkeit war.
    »Mein Name ist Helen Clyde«, sagte sie.

    Lynley setzte sich in eine Ecke. Etwas entfernt flackerten Kerzen, aber da, wo er war, hüllte Dunkelheit die Kirche ein. Es roch leicht nach Weihrauch, stärker nach Wachs, verbrannten Streichhölzern und nach Staub. Es war ganz still. Selbst die Tauben, die durch sein Kommen kurz aufgestört waren, hatten sich wieder beruhigt, und die Nacht war völlig windstill.
    Er war allein. Seine einzigen Gefährten waren die Mädchen und Jünglinge, die in ewigem, lautlosem Tanz umschlungen die Türen der elisabethanischen Beichtstühle schmückten.
    Er war tief bedrückt und beklommen. Es war eine alte Geschichte, eine römische Legende aus dem fünften Jahrhundert, doch so wirklich in diesem Augenblick wie damals, als sie Shakespeare als Grundlage für sein Drama gedient hatte. Der Prinz von Tyrus reiste nach Antiochien, um ein Rätsel zu lösen und eine Prinzessin zu heiraten. Aber als er fortging, hatte er nichts und rettete mit knapper Not sein Leben.
    Lynley kniete nieder. Er hätte gern gebetet, aber es kam nichts aus ihm heraus.
    Er wußte, daß er dem Leib der Hydra nahe war, doch dieses Wissen erfüllte ihn weder mit Triumph noch mit Genugtuung. Statt dessen wäre er am liebsten geflohen vor der letzten Konfrontation mit dem Ungeheuer, da er jetzt wußte, daß er, auch wenn die Köpfe abgetrennt und der Leib schon angeschlagen war, nicht hoffen konnte, unverletzt aus der Begegnung hervorzugehen.
    »Sorgt euch nicht um die Übeltäter.« Es war eine dünne, körperlose, zitternde Stimme. Sie kam von nirgendwoher und hing wie ein Hauch im kühlen Raum. Es dauerte einen Moment, ehe Lynley den Priester sah.
    Pater Hart kniete vor dem Altar, tief gebeugt, die Stirn zu Boden gedrückt.
    »Beneidet auch nicht die, die unrecht tun. Denn sie werden niedergemäht werden wie das Gras und verdorren wie das grüne Kraut. Vertraut auf den Herrn und tut Gutes; dann werdet ihr im Land wohnen, und ihr werdet wahrhaft gespeist werden. Freuet euch auch im Herrn; und er wird euch die Wünsche eurer Herzen erfüllen. Befehlt dem Herrn eure Wege; vertraut auf ihn, und er wird es wohl machen. Übeltäter werden gefällt werden; jene aber, die dem Herrn dienen, werden das Erdreich besitzen. Nur noch eine kleine Weile, und die Bösen werden nicht mehr sein.«

    Lynley lauschte den Worten gepeinigt und versuchte, ihre Bedeutung zu leugnen. Während sich wieder tiefe Stille in der düsteren Kirche ausbreitete - nur vom röchelnden Atem des Priesters gestört -, bemühte er sich, Klarheit zu finden, den inneren Abstand, den er brauchte, um den Fall zu Ende zu bringen.
    »Sind Sie zur Beichte gekommen?«
    Er fuhr zusammen beim Klang der Stimme. Unbemerkt hatte sich der Priester genähert. Lynley stand auf.
    »Nein, ich bin nicht katholisch«, antwortete er. »Ich wollte mich nur sammeln.«
    »Dafür ist die Kirche ein guter Ort, nicht wahr?« Pater Hart lächelte. Er seufzte zufrieden. »Ich spreche immer noch ein kurzes Gebet, ehe ich für die Nacht zusperre. Und ich sehe vorher auch immer nach, ob nicht noch jemand hier ist. Es wäre ziemlich hart, bei dieser Kälte in der Kirche eingesperrt zu sein, nicht wahr?«
    »Ja«, stimmte Lynley zu. »Das wäre hart.«
    Er folgte dem Priester zum Ende des Gangs und in die Nacht hinaus. Wolken verdunkelten Mond und Sterne. Der alte Mann war nur ein Schattenbild ohne Form und Gestalt.
    »Kennen Sie Perikles gut, Pater Hart?«
    Der Priester antwortete nicht gleich, sondern hantierte mit seinen Schlüsseln, um das Portal abzuschließen.
    »Perikles?« wiederholte er dann sinnend und ging an Lynley vorbei in den Kirchhof. »Das ist Shakespeare, nicht wahr?«
    »›... wie Flamm und Rauch‹. Ja, das ist Shakespeare.«
    »Ich - ja, ich kenne das Stück ganz gut.«
    »Gut genug, um zu wissen, warum Perikles vor Antiochus floh? Warum Antiochus ihn töten lassen wollte?«
    »Ich . « Der Priester kramte in seinen Taschen. »So genau erinnere ich mich nicht an die Einzelheiten.«
    »Ich denke, Sie erinnern sich an genug. Gute Nacht, Pater Hart.«
    Lynley ging davon. Er folgte dem Kiesweg die Anhöhe hinunter. Seine Schritte klangen unnatürlich laut in der Stille der Nacht. Auf der Brücke machte er halt, um

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