01 - Gott schütze dieses Haus
wenn sie stirbt?«
»Meinte er das denn?«
»Nein, natürlich nicht. William änderte sein Testament kurz nach Richards Rückkehr. Richard wußte sehr wohl, daß er ihm den Hof vermacht hatte und nicht Roberta.«
»Aber wenn Sie und William geheiratet hätten, wäre das Testament doch höchstwahrscheinlich wieder geändert worden?«
Sie sah die Falle. »Ja, aber - ich weiß, was Sie denken. Für Richard war Williams Tod vor unserer Heirat von Vorteil. Aber gibt es solche Konstellationen denn nicht häufig, wenn es um eine Erbschaft geht? Und die Menschen bringen einander doch im allgemeinen nicht um, nur weil sie erben wollen.«
»Ganz im Gegenteil, Mrs. Odell«, widersprach Lynley höflich. »Sie tun es dauernd.«
»Hier war das aber nicht der Fall. Ich glaube einfach - nun, daß Richard nicht sehr glücklich ist. Und unglückliche Menschen sagen oft Dinge, die sie gar nicht ernst meinen, und sie tun häufig Dinge, die sie normalerweise nicht tun würden, nur um ihr eigenes Elend zu vergessen. Ist es nicht so?«
Weder Lynley noch Barbara antworteten sofort. Olivia bewegte sich unruhig in ihrem Sessel. Draußen rief Bridie laut nach ihrer Ente.
»Wußte Roberta von diesem Gespräch?« fragte Lynley.
»Wenn ja, so hat sie es nie erwähnt. Wenn sie hier war, sprach sie meistens von der Heirat. Ich glaube, sie wünschte sich diese Heirat. Um mit Bridie wieder eine Schwester zu bekommen. Um vielleicht wieder eine so innige Beziehung aufbauen zu können, wie sie sie mit Gillian gehabt hatte. Ihre Schwester fehlte ihr schrecklich. Ich glaube nicht, daß sie den Verlust je verwunden hat.«
Ihre nervösen Finger fanden einen losen Faden am Saum ihres Rocks. Sie drehte und zwirbelte ihn unentwegt, bis er riß. Dann betrachtete sie das Stück Faden stumm, als wunderte sie sich, woher es gekommen war.
»Bobba - so hat William sie immer genannt - ist oft mit Bridie losgezogen, damit William und ich ein bißchen allein sein konnten. Sie und Bridie und Schnauz und die Ente marschierten zusammen los. Können Sie sich das Bild vorstellen?« Sie lachte und strich glättend über ihren Rock. »Sie gingen zum Fluß hinunter oder auf die Gemeindewiese oder machten bei der alten Abtei unten Picknick. Dann konnten William und ich in Ruhe miteinander reden.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Meistens über Tessa.« Sie seufzte. »Das war ein Problem, aber das letzte Mal, als William hier war - am Tag seines Todes -, sagte er, es sei nun endlich gelöst.«
»Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, sagte Lynley. »Was war das denn für ein Problem? Emotionaler Art? Eine Unfähigkeit, ihren Tod zu akzeptieren?«
Olivia, die zum Fenster hinausgeschaut hatte, drehte sich bei dem letzten Wort jäh herum.
»Wieso Tod?« fragte sie perplex. »Tessa ist nicht tot, Inspector. Sie verließ William kurz nach Robertas Geburt. Er engagierte einen Privatdetektiv, um sie suchen zu lassen, weil er die Ehe von der Kirche annullieren lassen wollte. Und am Samstag nachmittag kam er zu mir, um mir zu sagen, daß man sie endlich gefunden habe.«
»York«, sagte der Mann. »Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen mehr zu sagen. Ich warte nämlich immer noch auf mein Honorar.«
Lynley kochte innerlich. »Wie wäre es mit einer gerichtlichen Verfügung?« fragte er liebenswürdig.
»Moment mal, Mann, mit solchem Scheiß brauchen Sie mir nicht zu kommen -«
»Mister Houseman, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie, auch wenn sie gegenteiliger Ansicht sein mögen, nicht Sam Spade sind?«
Lynley konnte sich den Mann vorstellen: Füße auf dem Schreibtisch, eine Flasche Bourbon in der Schublade, eine Pistole, die er lässig von einer Hand in die andere warf, während er den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt hielt. Er war nicht weit von der Wahrheit entfernt.
Harry Houseman sah durch die schmutzige Scheibe seines Bürofensters über Jackies Frisiersalon zum Trinity Church Square in Richmond hinaus. Es regnete leicht, gerade ausreichend, um den Dreck auf der Scheibe noch gründlich zu verschmieren. Was für ein trister Tag, dachte er. Er hatte eigentlich ans Meer fahren wollen - in Whitby wartete eine kleine Maus, die ganz scharf darauf war, ein paar ernsthafte Privatrecherchen mit ihm zu betreiben -, aber bei solchem Wetter kam er nicht in Stimmung. Und dieser Tage mußte er unbedingt in Stimmung sein, wenn in den unteren Regionen noch was passieren sollte. Er grinste und entblößte dabei eine schlecht gemachte
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