01 - Gott schütze dieses Haus
Kleidung, ein Zurückzucken, wie um einem Schlag auszuweichen. Tessa, das sah er, suchte jetzt Kraft zu sammeln für diese Prüfung, als könne eine Hand der anderen durch das Ineinanderschlingen der Finger Mut und Stärke übertragen. Es schien zu wirken. Als sie aufblickte, wirkte ihr Gesicht entschlossen.
»Ich war erst vierzehn, als ich ihn heiratete. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, mit einem Mann verheiratet zu sein, der sechzehn Jahre älter ist, wenn man selbst gerade vierzehn ist? Nein, natürlich können Sie das nicht. Niemand kann das. Auch Russell konnte es nicht.«
»Warum waren Sie nicht in der Schule?«
»Ich ging eine Zeitlang zur Schule. Aber dann mußte ich aussetzen, um meinem Vater auf dem Hof zu helfen. Nur vorübergehend. Er hatte einen schlimmen Rücken. Eigentlich sollte ich nach einem Monat wieder zum Unterricht gehen. Marsha Fitzalan gab mir Aufgaben, damit ich nicht zurückbleiben würde. Aber ich fiel zurück, und dann kam William.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er kam auf den Hof, um meinem Vater einen Schafbock abzukaufen. Ich ging mit ihm hinaus, um ihm das Tier zu zeigen. William sah sehr gut aus. Ich war romantisch. Für mich war es Heathcliff, der endlich gekommen war, seine Cathy heimzuführen.«
»Aber Ihr Vater kann doch nicht damit einverstanden gewesen sein, daß Sie in diesem Alter heiraten wollten. Noch dazu einen so viel älteren Mann!«
»Natürlich war er nicht einverstanden. Und meine Mutter auch nicht. Aber ich war hartnäckig, und William war zuverlässig, gut angesehen und charakterstark. Ich glaube, sie hatten Angst, wenn sie sich der Heirat widersetzten, würde ich völlig außer Rand und Band geraten und abrutschen. Deshalb gaben sie schließlich ihre Zustimmung, und wir heirateten.«
»Und wie hat sich die Ehe entwickelt?«
»Was weiß eine Vierzehnjährige schon von der Ehe, Inspector?« fragte sie statt einer Antwort. »Ich wußte nicht einmal genau, wie Kinder gezeugt werden, als ich William heiratete. Man sollte meinen, ein Mädchen, das auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, wäre ein bißchen realistischer, aber Sie müssen bedenken, daß ich praktisch meine ganze Freizeit mit den Brontes verbrachte. Charlotte, Anne und Emily drücken sich immer ziemlich vage aus, wenn's ums Detail geht. Aber ich wurde schnell genug aufgeklärt. Gilliam kam kurz vor meinem fünfzehnten Geburtstag zur Welt. William war außer sich vor Freude. Er liebte sie abgöttisch. Es war, als begänne sein Leben erst in dem Moment, als er Gilly sah.«
»Trotzdem dauerte es Jahre, ehe Sie ein zweites Kind bekamen.«
»Ja, weil sich durch Gilly alles zwischen uns änderte.«
»Inwiefern?«
»Durch sie - diesen winzigen Säugling - fand William plötzlich zur Religion. Ich weiß auch nicht, wieso. Aber danach wurde alles anders.«
»Ich dachte, er wäre immer schon ein religiöser Mensch gewesen.« »O nein. Das fing erst mit Gillian an. Als fühlte er sich als Vater nicht gut genug, als müßte er ständig seine Seele reinigen, um seines Kindes würdig zu sein.«
»Wie ging das vor sich?«
Sie lachte kurz auf bei der Erinnerung, aber es klang eher bitter als erheitert.
»Er las die Bibel, ging täglich zur Beichte und zur Kommunion. Innerhalb eines Jahres verwandelte er sich in den frömmsten Mann im Dorf und einen absolut hingebungsvollen Vater.«
»Und Sie, eine Fünfzehnjährige, mußten versuchen, mit einem Säugling und einem Heiligen zusammenzuleben.«
»Genauso war es. Das heißt, um das Kind brauchte ich mich kaum zu sorgen. Ich war nicht gut genug, die Sorge für Williams Kind zu übernehmen. Vielleicht auch nicht fromm genug. Wie dem auch sei, er versorgte sie von Anfang an praktisch allein.«
»Und was taten Sie?«
»Ich zog mich zu meinen Büchern zurück.«
Sie hatte die ganze Zeit fast reglos gesessen, jetzt jedoch wurde sie unruhig. Sie stand auf und ging durch das Zimmer zum Erkerfenster, durch das in der Ferne das Münster zu sehen war. Doch Tessa, vermutete Lynley, sah nicht die Kathedrale, sondern die Vergangenheit.
»Ich träumte, daß William Mister Darcy werden würde. Ich träumte, Mister Knightley würde mich in die Arme nehmen und nie mehr loslassen. Ich hoffte, ich würde eines Tages Edward Rochester begegnen, wenn ich nur fest genug an die Verwirklichung meiner Träume glaubte.« Sie kreuzte die Arme auf der Brust, als könne sie damit den Schmerz jener Zeit abwehren.
»Ich suchte Liebe. Verzweifelt. Ich wollte geliebt werden. Können
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