01 - Gott schütze dieses Haus
er tot. Was soll nur aus uns werden?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Sie kann ihr Haar nicht leiden. Weil es rot ist. Sie will unbedingt andere Haare haben. Ich versteh' das nicht. Wie kann ein kleines Mädchen von neun Jahren sich mit solcher Leidenschaft über ihr Haar aufregen!«
»Rothaarige«, stellte Lynley fest, »sind meistens von Natur aus leidenschaftlich.«
»Genau! Das ist es! Stepha ist auch so. Man könnte meinen, Bridie wäre ihr Kind und nicht meins.«
Sie holte ein paarmal tief Atem und richtete sich auf. Schritte waren im Flur zu hören.
»Herr, gib mir Kraft«, murmelte Olivia.
Bridie trat in die Küche, ein Frottiertuch um den Kopf geschlungen, den Pullover - den sie in ihrer Hast, die Anweisungen ihrer Mutter zu befolgen, nicht ausgezogen hatte - klatschnaß. Ihr folgte die Ente mit seltsam schlingerndem Gang, der an einen alten Seebären erinnerte.
»Er hat ein verkrüppeltes Bein«, erklärte Bridie, die sah, wie Lynley das Tier musterte. »Wenn er im Wasser ist, kann er nur im Kreis schwimmen, drum lass' ich ihn nur rein, wenn ich dabei bin. Aber letzten Sommer waren wir oft schwimmen mit ihm. Im Fluß. Wir haben gleich draußen einen Damm gebaut, da hat er richtig schön gespielt. Er hat sich immer ins Wasser fallen lassen und ist dann ewig im Kreis rum geschwommen. Stimmt's, Dougal?«
Die Ente zwinkerte zustimmend und suchte auf dem Küchenboden nach Nahrung.
»Warte, zeig dich mal, Bridie«, sagte Olivia.
Das kleine Mädchen kam zu ihr, das Frottiertuch wurde entfernt, der Schaden inspiziert.
Olivia schossen gleich wieder die Tränen in die Augen. Sie biß sich auf die Unterlippe.
»Ich denke, das muß nur ein bißchen nachgeschnitten werden«, bemerkte Lynley hastig. »Was meinen Sie, Sergeant?«
»Ja, das glaube ich auch«, stimmte Barbara zu.
»Weißt du, Bridie, ich finde, du solltest dir das mit Lady Di aus dem Kopf schlagen. So schön ist sie nun auch wieder nicht. Schau mal«, sagte Lynley, als er sah, wie die Lippen des Kindes zu beben begannen, »du hast doch Locken. Sie dagegen hat ganz glattes Haar. Als Sinji dir sagte, sie könne dir eine solche Frisur nicht machen, hat sie dir die Wahrheit gesagt.«
»Aber sie ist so hübsch«, protestierte Bridie.
»Sicher, das ist sie. Aber es wäre doch eine reichlich komische Welt, wenn alle Frauen genauso aussähen wie sie, meinst du nicht? Glaub mir, es gibt viele Frauen, die sehr hübsch sind und überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihr haben.«
»Wirklich?« Bridie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die zerknitterte Abbildung aus der Illustrierten. Ein dicker Fettfleck saß auf der Nase Lady Dis.
»Du kannst es dem Inspector ruhig glauben, wenn er das sagt, Bridie«, bemerkte Barbara, und ihr Ton sagte, auf dem Gebiet kennt er sich aus.
Bridie, die Schwingungen spürte, die sie nicht verstand, blickte von einem zum anderen.
»Na schön«, sagte sie schließlich. »Aber jetzt muß ich endlich Dougal füttern.«
Die Ente zwinkerte dankbar.
Das Wohnzimmer im Hause Odell war kaum besser als die Küche. Es war schwer zu glauben, daß eine Frau und ein Kind ein solches Tohuwabohu produzieren konnten. Sämtliche Sessel waren von Kleiderbergen besetzt, als wären Mutter und Tochter kurz vor dem Umzug, Zeitschriften lagen herum, mitten im Zimmer stand das Bügelbrett, auf dem Klavier flogen Notenblätter herum, überall lag der Staub so dick, daß die Luft nach ihm schmeckte.
Olivia schien sich des Chaos gar nicht bewußt, als sie sie mit zerstreuter Geste zum Sitzen einlud. Erst als sie sich selber setzen wollte, wurde sie einen Moment ratlos, dann aber lachte sie ohne Verlegenheit.
»So schlimm ist es sonst nicht. Ich war - es war -« Sie räusperte sich und schüttelte den Kopf, als wolle sie Ordnung in ihre Gedanken bringen. Wieder fuhr sie sich mit einer Hand durch das feine Haar. Es war eine mädchenhafte Geste, die überraschend wirkte bei dieser Frau, die längst kein Mädchen mehr war. Sie hatte eine sehr zarte Haut und feine Züge, doch die Jahre waren nicht freundlich mit ihr umgegangen. Ihr Gesicht war faltig, und obwohl sie sehr schlank war, wirkte sie unelastisch, eher hager als zierlich.
»Wissen Sie«, sagte sie plötzlich, »als Paul starb, war es nicht so schlimm. Ich werde mit Williams Tod einfach nicht fertig.«
»Es kam ja auch so plötzlich«, meinte Lynley. »Es muß ein schwerer Schock für Sie gewesen sein.«
Sie nickte. »Vielleicht haben Sie recht. Paul, mein Mann, war mehrere Jahre
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