01 Jesses Maria: Kulturschock
nicht.
„Mein Haar? Och, das lass ich in Lisas Frisierstübchen machen.“
Sag ich doch, dass die Schwulen einen sehr guten Geschmack haben. Der Dunkle hat ein sehr angenehmes Parfüm. Und sein Händedruck ist richtig männlich. Ich hatte mir eher vorgestellt, dass es sich anfühlt wie ein halbes Pfund Mett, wenn so einer einem die Hand gibt. „Ich? Ich bin im öffentlichen Dienst. In einer Klinik. Ja, da haben sie recht. Man muss immer auf die Garderobe achten. Das ist wie eine Visitenkarte, ja.“ Wirklich sehr nett, dieser Simon. Und so ein Charmeur. Was hat er gesagt? Er arbeitet an der Universität? „Ach so? Bioniker? Tatsächlich. Das ist ja interessant.“ Ich werde zuhause nachschlagen, was ein Bioniker macht. Und der andere ist Grafiker. Werbung, das passt. In so einem Job kannman sich ruhig ein bisschen schrill anziehen. Da merkt auch sicher keiner, dass er schwul ist. Werbefritzen sind ja alle ein bisschen gaga. Sehr sehr nette junge Männer. Wirklich. Nils holt mir was zu trinken. „Champagner für Lady Mary“, hat er gesagt. Süß. Er hat polierte Fingernägel. Sieht sehr edel aus und kostet ein Heidengeld, wenn man sich das machen lässt. Ich habe das beim Friseur schon mal gesehen, dass ein Mann zur Maniküre kam. Dann war der sicher auch schwul! Womöglich gibt’s die überall und man weiß es gar nicht?
Die Performance der Frau Bitterbös
Leider sind nur zehn Leute gekommen. Vielleicht ist die Künstlerin gar nicht berühmt? Egal, man muss auch unbekannten Dichtern zuhören. Seit zwei Wochen freue ich mich auf diesen Abend, es ist toll, wenn man Schriftsteller persönlich kennt. Man sieht ein Buch mit ganz anderen Augen, wenn man weiß, wer dahinter steckt. Camelia Bitterbös. Der Name ist schon mal ziemlich wunderlich. Tamara hat die Karten besorgt.
Wir sitzen im Saal der Volkshochschule auf ungepolsterten Stühlen. Das Neonlicht ist ungemütlich. Auf dem Nussbaumtisch stehen ein Glas und eine Flasche Wasser und ein Mikrofon.
Es riecht nach Putzmitteln, nach Bohnerwachs und Käsefüßen. Hier gibt es keinen Büchertisch.
Bei der Lesung von Durs Grünbein gab es einen Büchertisch. Meine Güte, haben die Leute Bücher gekauft. Ich hab auch eins genommen, obwohl ich nicht verstanden hatte, was er mit seinen seltsamen Gedichten gemeint hat. Er hatte alles komisch betont. Ich wär fast eingeschlafen. Die Gedichte haben mir zuhause auch nicht besser gefallen. Ich hab das Buch dann Frau Schweiger aus der Personalabteilung geschenkt. Wer weiß, wem die es weitergeschenkt hat.
Ob Camelia Bitterbös mir gefällt, weiß ich noch nicht. „Kröten im Haus der Ratten“ heißt ihr Buch, so steht es auf dem Plakat. Klingt nach Horror. Horror geht ja. Früher hab ich Steven King gelesen. Das waren spannendeBücher. Hoffentlich liest sie keine Gedichte.
Ich mag nur Gedichte, die sich reimen. Wilhelm Busch zum Beispiel, der konnte richtig gut reimen, Heinz Erhardt auch. Durs Grünbein reimt glaub ich nie. Warten wir ab, was Camelia Bitterbös zu erzählen hat.
Wenn ich so hieße, würde ich mich umtaufen lassen. Ich habe gelesen, dass das geht, wenn man einen so scheußlichen Namen hat. Meine Oma hat immer gesagt: „Sage mir, wie du heißt und ich sage dir, wer du bist.“ Naja. Camelia heißen sonst Damenbinden. Und Bitterbös muss ihr Künstlername sein. Warum nennt sie sich freiwillig Bitterbös? Künstler sind komisch. Dieser verrückte Maler mit den bunten Häuser-Bildern hatte sich auch so bekloppt umgetauft: Friedensreich Regentag Kunterbunt Hundertwasser. So kann man von Natur aus nicht heißen. „Regentag, nimmst du mal den Müll mit runter?“ Zum Hinknien. Es geht los. Die Frau von der Volkshochschule begrüßt uns. „Camelia Bitterbös ist eine Frau, die ihresgleichen sucht…“ Aha.
„Sie hat an ihrem ersten Buch ‚Ich will nur euer Geld‘ vier Jahre lang geschrieben.“ Alle Achtung. Hoffentlich hat sie’s bekommen. Unser Geld. Von irgendwas musste sie Brot und Butter kaufen, wenn sie vier Jahre lang geschrieben hat. Oder sie hat einen reichen Mann. Nur von Kunst kann keiner satt werden, das weiß ich nämlich von Tamara. „Der Wirtschaftskrimi ‚Ich will nur euer Geld‘ ist in Camelias eigenen Verlag erschienen.“ Oho, die Dame ist auch Verlegerin. Tamara hat mir von Autoren erzählt, die ihre eigenen Bücher selber drucken lassen, weil kein Verlag sie haben will. Ob die Bitterbösauch so eine ist? „Camelia Bitterbös ist eine Powerfrau, ein Multitalent. Sie schreibt
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