01 Jesses Maria: Kulturschock
mir die Augen weh.
Der Professor sagt: „Van den Rheins Rot ist eine Art dramatischer Befindlichkeit, ist Liebesrausch, ist Blutrünstigkeit, ist Warnung und Mahnung, in der das Banale, das Triviale seine Balance im undefinierten Raum artikuliert.“ Das hab ich jetzt nicht verstanden. Der mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart neben mir hat einen Lachkrampf. Weiß der auch nicht, was der Professor gemeint hat? Oder hab ich einen Witz nicht verstanden? Die anderen lachen auch? Was habe ich denn verpasst?
Jetzt klatschen alle, die Einführung in das Werk ist, Gott sei Dank, zu Ende. Was soll das denn?
Jetzt geht der Kaiser-Wilhelm-Bart ans Rednerpult? Was sagt er da? „Ich habe noch niemals ein Bild interpretiert, schon gar nicht meine eigenen.“
Das gibt’s doch gar nicht! Ich hab die ganze Zeit neben dem Künstler gesessen. Klar, dass er bei dem Gesülze einen Lachkrampf kriegte. Wenn er seine eigenen Bildernie interpretiert.
Ob er eins verkauft? Wer kann sich so einen Riesenschinken in rot in die Wohnung hängen? Ich werde mir den Katalog mit nach Hause nehmen. Und vorher frag ich Herrn Bodo Maximus van den Rhein, ob er mir ein Autogramm vorne draufschreibt. Vielleicht schreibt er ja „für Maria“. Immerhin haben wir schon mal zusammen gelacht. Der Katalog passt farblich sehr gut auf das kleine Tischchen im Flur.
Figaro
Die Idee ist klasse und ich hab mich auch wirklich gefreut. Obwohl ich zuerst nicht wusste, wie das Geschenk gemeint war. Schließlich kommt man schon ins Grübeln, wenn einen die eigenen Kollegen zum Friseur schicken. Auch wenn es ein Promifriseur ist. „Tante Maria“, hat Tamara am Telefon gesagt, „freu dich über das schöne Geschenk und lass dich verwöhnen. Du hast es dir verdient. Außerdem solltest du ruhig mal was Neues ausprobieren. Bei deinem Gesicht kannst du fast alles noch tragen. Lass dich beraten und vertrau Gilbert, er versteht sein Handwerk und dafür ist er berühmt.“ Ja, berühmt ist Gilbert, das stimmt. Alle möglichen Prominenten gehen dahin. Ich kenne Gilbert aus dem Fernsehen, wenn er auf irgendeiner Schickimicki-Party rumschwarwenzelt. Ob der anders kämmt als meine Monika in Lisas Frisierstübchen? So schlecht liegen meine Haare gar nicht. Jedenfalls heute nicht. Das ist immer so: Wochenlang sieht mein Haar aus wie brünetter Schnittlauch und wenn ich einen Termin beim Friseur habe, hat es über Nacht plötzlich Volumen und sitzt einwandfrei.
Dieser ist ja kein Friseur. Dieser ist ein Coiffeur. Ich weiß gar nicht, wie man das richtig ausspricht. Wie viel mag der Gutschein gekostet haben? „Organischer Haarschnitt, Coloration, Wellness Haarpflege, indonesische Kopfmassage und Föhnen“ steht auf dem Beauty-Coupon.
Zu Deutsch: waschen, schneiden, tönen, trocknen. Trocknen ist doch logisch, oder? Wer geht denn mit nassen Haaren nach Hause? In Lisas Frisierstübchen ist Haare trocknen immer im Preis drin. Und was ist indonesische Kopfmassage? Von außen ist der Salon nichts Besonderes.
Sechs Wochen hab ich auf den Termin warten müssen. Vorher hatte der Meister nichts frei. Können die Promis auch nur alle sechs Wochen zu ihm kommen?
„Guten Tag, mein Name ist Jesse und ich habe um fünfzehn Uhr einen Termin. Was gemacht werden soll? Das weiß ich nicht, meine Kollegen haben mir einen Gut… einen Beautycoupon geschenkt. Nein, ich weiß nicht, wer es mir machen soll, ich bin ja zum ersten Mal hier.“
Das ist er, das ist er! Der sieht viel älter aus als im Fernsehen, der ist bestimmt schon Ende fünfzig. Monsieur Gilbert kommt direkt auf mich zu, na, das ist aber ein Service. Was sagt er zu mir? Gnädigste? Wie vornehm! Aber ja, ich folge ihm gern.
„Ja, der Platz ist mir sehr angenehm. Nein danke, keinen Champagner, keinen geeisten Tee, aber gerne Cappuccino.“
Angelina ist meine persönliche Farb- und Stilberaterin und Fatima ist ihre Assistentin. Nett, dass hier der Chef seine Leute persönlich vorstellt.
Aishe wird mir dann später die Fasson schneiden. Verstehe. Die Friseusen sehen aus wie Teilnehmerinnen einer Miss-Wahl. Alle tragen golddurchwirkte Gewänder, jede hat so eine Art Kaftan an: die Stil-Beraterinnentragen Rot, die, die schneiden, blau und die Assistentinnen grün.
Gute Idee, wirklich. Da weiß man als Kundin gleich, woran man ist.
In Lisas Frisierstübchen sind die Angestellten normale Friseusen im pastellfarbenen Kittel. Da gibt’s auch keine Assistentin, sondern eine Azubine. Und bei Lisa nennen sie meinen Haarschnitt nicht
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