01 Jesses Maria: Kulturschock
aber freundlich wie ich bin, holte ihm vier Pakete Tempos und schmiss sie aufs Bett.
„Ob ich mir Tee koche?“
Ich wusste genau, was das hieß, denn diese Frage war keine Frage. Ich zischte ihn an: „Koch dir Tee, besser ist das!“
„Aber wenn ich wirklich hohes Fieber habe und jetzt aufstehe, dann krieg ich vielleicht eine Lungenentzündung.“ Dieses wehleidige Weichei!
„Möchten der Herr Kamille oder Pfefferminz?“ Und, siehe da, jetzt näselte er nicht mehr: „Ich möchte schwarzen Tee mit frischem Zitronensaft. Aber brüh ihn in der Tasse auf und leg einen Teller drauf, damit er nicht so schnell kalt wird.“
„Liiiebling“ – ich kann das zuckersüß sagen, auch wenn ich sauer bin, also sagte ich „Liiiebling, kann ich noch was für dich tun, du armes Mäuschen?“ Ich solle mit ihm nicht reden wie mit einem Baby, sagte er. Er hätte wahrscheinlich eine schlimme Stirnhöhlenvereiterung und ich sollte das bitteschön ernst nehmen.
Dann nahm er ein Taschentuch, rotzte trompetend hinein und beguckte sich das Ergebnis genau und lange und mit schief gelegtem Kopf. Sein Augenaufschlag war filmreif, als er sagte: „Hier. Guck dir das an. Grünlich gelb. Zähe Konsistenz. Was bedeutet das?“
„Das bedeutet, dass Du ein Schwein bist“, kreischte ich und hatte Angst, dass ich mir das Taschentuch wirklich aus der Nähe ansehen musste. Ich hab die Tür zugeknallt und wollte Brötchen holen gehen. Ich war vor der Haustür, als mir etwas einfiel. Es war so eine Ahnung, und ich hatte Recht. Ich sah Manni durch das Badezimmerfenster vor dem Spiegel stehen.
Direkt neben der Haustür kann man prima ins Bad gucken, wenn man auf Zehenspitzen steht. Unser Postbote hatte mich mal darauf aufmerksam gemacht.
Manni stand vor dem Waschbecken und war mit dem Gesicht ganz dicht vor dem Alibert. Er hatte sich das Unterlid mit dem Mittelfinger runter gezogen, prüfte wieder seinen Rachen, tastete den Hals ab und sagte mit aufgerissenem Mund „Aaaah“ zu seinem Spiegelbild. Jetzt mit nacktem Oberkörper. Manni hatte inzwischen eine richtige Fettschürze. Ich hatte lange nicht drauf geachtet, wie er nackig aussieht.
Braucht man nach so langen Ehejahren auch nicht mehr. Sein Dingens konnte Manni ganz sicher nicht mehr sehen, wenn er normal grade stand. Naja, egal, da gab’s sowieso nicht besonders viel zu sehen. An die statistischen siebzehnkommafünf Zentimeter des deutschen Durchschnittsmannes kam er auch im wildesten Liebesrausch nicht ran.
(Das hab ich jetzt geschätzt, nicht gemessen.)
Als ich mit den Brötchen und dem neuen Thermometer zurückkam, lag Manni wieder im Bett und hatte sich bis an die Nasenspitze zugedeckt. Ich sah Schweißperlen auf seiner Stirn. Kein Wunder, es war eine Affenhitze und die Sonne schien direkt auf sein Bett. „Decke weg und umdrehen“, sagte ich.
Ich wusste natürlich schon vorher, dass er sich zieren würde, Männer sind ja immer sehr eigen mit ihren Hintern. Manni krakeelte, rektal messen sei nicht möglich, denn ihm täte alles, aber auch wirklich alles weh. Wenn ich verstünde, was er meinte. Ich verstand.
Er maß unter dem Arm und ich blieb auf der Bettkante sitzen. Damit er das Thermometer nicht warm reiben konnte, man kennt ja diese Tricks. Ich nahm es ihm sofort unter der Achsel weg, als es piepte.
Er hatte siebenunddreißig fünf. Er keifte: „Siehst du. Ich wusste, dass es steigt, ich wusste es doch.“ Jetzt reichte es mir. „Kein Wunder, dass du glühst, bei der Hitze, unter der warmen Steppdecke. Dir ist doch echt nicht mehr zu helfen.“ Er sah mich entsetzt an, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen. „Wie meinst du das, Maria?“ sagte er heiser. Na warte. Ich ließ ihn zappeln. „Maria! Was verheimlichst du mir? Was meinst du damit, dass mir nicht zu helfen ist?“ Ich ging einfach aus dem Zimmer, ließ aber die Tür einen Spalt offen und beobachtete ihn vom Flur aus.
Er drehte den Rücken zur Tür und deckte sich wieder bis oben hin zu. Keine Ahnung, wozu das alles gut sein sollte. Er hatte kein Fieber und ein bisschen Schnupfen.Kein Grund für so ein Theater, oder? Ich wollte ihn heilen, ein für alle Mal.
Das Telefon stand im Flur. Ich wählte die Nummer von Dr. Kutscher. Der alte Arzt machte auch am Wochenende Hausbesuche, heutzutage eine Seltenheit.
„Hallo, Herr Doktor, Maria Jesse hier. Tut mir leid, wenn ich Sie am Wochenende störe, aber es handelt sich um einen Notfall. Mein Mann…“ Den Rest flüsterte ich. Dr. Kutscher
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