01 - komplett
nichts.“
„Ich weiß. Aber mehr habe ich nicht.“
Wieder wandte sie den Blick ab, ohne etwas zu erwidern. Nichts würde ihre Meinung ändern, das war ihm klar, und er wollte seinen vielen Fehlern nicht auch noch die Missachtung ihrer Wünsche hinzufügen. Lavinia hatte sich entschieden, und er würde es akzeptieren, sosehr es ihn auch schmerzte.
„Frohe Weihnachten, Lavinia.“
Irgendwie fand er den Weg zur Tür und auf die Straße hinaus. Er war schon mehrere Meter gegangen, als ihm auffiel, dass er den Beutel noch in der Hand hielt, den Lavinia ihm zugeworfen hatte. Seine verdammten zehn Pfund. Wütend verstärkte er den Griff darum – und stutzte.
Erst jetzt wurde ihm klar, dass sich der Beutel nicht deswegen so leicht anfühlte, weil er eine einzelne Banknote enthielt. Es war kein weiches Papier, das er in seiner Handfläche fühlte, sondern etwas Hartes, Rundes.
Etwas Rundes? Es gab keine Zehn-Pfund-Münze. Außerdem stellte er fest, als er jetzt neugierig den Inhalt des Beutels abtastete, dass das geheimnisvolle Etwas in der Mitte hohl war. Mit angehaltenem Atem öffnete er den Beutel und nahm den Gegenstand darin heraus. Es war ein schlichter Goldring, zu zart und klein für den Finger eines Mannes. William sah ihn einen Moment lang wie erstarrt an. Plötzlich musste er an die anderen Möglichkeiten denken, die Lavinia ihm aufgezählt hatte.
Ich hätte den Ehering meiner Mutter versetzen können .
Doch sie hatte ihn nicht versetzt. Sie hatte ihn stattdessen ihm gegeben.
Lavinia blickte immer noch wie betäubt zur Tür, die William hinter sich geschlossen hatte.
Sollte sie sich demütigen und ihm hinterherlaufen? Sollte sie erst eine gewisse Zeit verstreichen lassen, bevor sie ihn aufsuchte und ihn zwang, sich mit Küssen bei ihr zu entschuldigen? Oder sollte sie dem Schreibtisch in ihrer Verzweiflung einen Tritt versetzen und Mr. William White ein für alle Mal aufgeben? Wie es aussah, würde er nie begreifen, dass man Liebe nicht kaufen konnte.
Seufzend barg sie das Gesicht in den Händen. Sie wagte es nicht, in Tränen auszubrechen, sosehr es sie auch danach verlangte, denn sie musste nach ihrem Vater sehen. Es war Heiligabend. Heute sollte alles fröhlich und schön für die Familie werden, obwohl es keinen Wein und keine Weihnachtsgans geben würde.
Die Glocke über der Tür läutete.
Jemand war hereingekommen.
Lavinia hob den Kopf, und ihr Herz machte einen Sprung. William stand an der offenen Tür. Seine hohe Gestalt füllte fast den ganzen Rahmen aus. Schneeflocken bedeckten Kragen und Hutkrempe. Er zog den Mantel aus und legte ihn auf einen der niedrigen Tische zu seiner Rechten. Dann wandte er sich um und schloss ab, als wäre es selbstverständlich. Lavinia schluckte aufgeregt. Zwar sagte William nichts, aber sein Blick, den er sehnsüchtig über ihren Körper gleiten ließ, sprach Bände.
„Lässt sich die Tür hinter dir ebenfalls abschließen?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Bedauerlich.“ Kurzerhand hob er einen Stuhl hoch und ging an Lavinias Schreibtisch vorbei.
„Was tust du da?“, fragte sie verblüfft.
„Ich stelle deine Möbel um.“ Er klemmte den Stuhl unter den Türknauf. „So. Dieses Mal werden wir uns nicht von lästigen kleinen Brüdern stören lassen.“ Damit drehte er sich zu ihr um.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als William langsam auf sie zukam, direkt vor ihr stehen blieb und sie einfach hochhob. Lavinia stieß einen leisen überraschten Schrei aus, als er sie auf die Schreibtischkante setzte und sich zwischen ihre Schenkel schob. Sie hörte ihn tief einatmen, dann lehnte er die Stirn gegen ihre, und Lavinia schloss glücklich die Augen. Sie wusste nicht, was sie erwartete, aber das Gefühl, wieder in Williams Armen zu liegen, genügte ihr.
„Wenn ich richtig verstanden habe“, sagte er und streichelte sanft ihre Wange, „dann möchtest du, dass ich dir den Ring zurückgebe.“
Sie wollte antworten, brachte aber keinen Laut heraus und nickte nur.
„Nun, du kannst ihn nicht bekommen.“ Ihre Blicke trafen sich. William strich ihr zart über den Hals und hob sanft ihr Kinn an.
„Du kannst ihn nicht bekommen“, wiederholte er leise, „es sei denn, du trägst ihn für mich.“
Noch einmal nickte sie.
„Ich glaube“, fuhr er fort, „als ich hereinkam, hätte ich eher so etwas sagen müssen wie ...“
Er senkte den Kopf.
„Wie?“, flüsterte sie atemlos.
Ihre Lippen berührten sich.
Er duftete nach Zimt und Nelken. Wie
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