01 - komplett
die Füße zu helfen. Ihre Nähe war nur schwer zu ertragen. „Clara“, begann er in drängendem Ton. Irgendwie musste er sie dazu bringen, ihn zu verstehen. „Wir sind zu verschieden. Sie sind so offen, ehrlich und vertrauensvoll. Ich hingegen ... Ach verflucht, Sie sind einfach zu gut für mich. Sie wissen, wie ich gelebt habe. Nun bin ich ausgelaugt. Meine Seele ist alt und erschöpft.“
Sie lächelte ein Lächeln, das ihm das Herz zu brechen drohte. „Sie suchen nach Ausreden, Sebastian. Glauben Sie denn, ich wüsste gar nichts über Sie? Ersparen Sie mir Ihre Lügen und Ausflüchte. Sie haben Angst davor, mich zu lieben. Das ist das ganze Problem.“
Sie hatte natürlich recht. Von dem Moment an, da sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, hatte er versucht, Barrieren zwischen sich und ihr zu errichten. Denn er hatte gespürt, dass sein bisheriges Leben zusammenbrechen könnte, wenn er sich gestattete, Clara zu lieben. Nun war es tatsächlich so gekommen, wie er befürchtet hatte. Er liebte sie. Und er konnte nicht mehr der Mensch sein, der er gewesen war.
Nichts war mehr so, wie er es sich wünschte. Er war verwirrt. All diese widersprüchlichen Gefühle! Aber noch empfand er einen Rest an Verantwortungsbewusstsein und so etwas wie Ehre. Auch war da immer noch diese Angst ...
Ich muss dafür sorgen, dass Clara mein Haus verlässt, ehe noch Schlimmeres geschieht!
Er wollte sie nicht verletzen, hatte es nie gewollt. Doch seine eigene Sicherheit war ihm wichtiger als ihre. Nach wie vor erfüllte ihn das Bedürfnis, sich vor allem zu schützen, was seine selbst gewählte innere Einsamkeit bedrohte. Niemand durfte ihm zu nahekommen. Er hatte sich geirrt, als er dachte, er könnte Clara von Oliver erzählen. Damit hätte er den letzten Rest seiner Schutzmauer eingerissen.
„Sie glauben an die große Liebe, Clara“, erklärte er, bemüht, all die Gefühle zu verbergen, die in ihm tobten. „Ich bin da ganz anders als Sie. Für mich gibt es Sympathie und Lust, sonst nichts. Ich begehre Sie. Aber es wäre dumm, so zu tun, als hätte mein Verlangen etwas mit Liebe zu tun.“
Hartnäckig, wie es ihrem Charakter entsprach, schüttelte sie den Kopf. „Sie lügen.
Aber warum? Ich begreife das nicht. Wovor haben Sie solche Angst, Sebastian?“
Es gab so viel, das ihm Angst machte. Er hatte Angst davor, ihr seine Liebe zu schenken, denn wer liebt, räumt dem geliebten Menschen Macht über das eigene Leben ein. Mehr noch aber fürchtete er sich davor, Verantwortung für andere zu übernehmen. Er hatte versagt, als es darum ging, Oliver zu retten. Und er hätte es nicht ertragen, ein zweites Mal zu versagen.
„Ich weiß, dass Sie mich lieben“, wiederholte Clara. „Ich habe es in Ihrem Gesicht und in Ihren Augen gesehen, als Sie mich aus dem Teich zogen. Deshalb bin ich hier.“
Sie streckte ihm die Hände entgegen. „Warum kämpfen Sie gegen diese Liebe an?
Alles könnte so schön sein ...“ Ihre Stimme war leiser geworden, denn Sebastians Schweigen begann, ihre Überzeugungen zu untergraben.
„Ich mag Sie sehr“, sagte er jetzt. „Sie bedeuten mir viel, aber leider nicht genug.“ Er hasste sich für das, was er tat. Vor allem, als er bemerkte, wie das Blut aus ihren Wangen wich und wie das lebendige Funkeln ihrer Augen erlosch. Er tat ihr weh.
Aber das ließ sich leider nicht vermeiden. Er war verzweifelt. Dennoch war er nicht bereit, auch nur eine Handbreit von seinem Ziel abzurücken. „Ich streite nicht ab, dass Menschen einander so lieben können, wie Sie es sich erträumen, Clara. Ich jedoch liebe Sie nicht so. Es tut mir leid.“ Beschämt starrte er zu Boden.
Sie erhob sich. Ihr Blick schien leer. Als sie zur Tür ging, schwankte sie leicht und stieß gegen das Tischchen, auf dem das unberührte Brandy-Glas stand.
Sebastian wollte das Herz brechen, als er sie so sah. Wie sehnte er sich danach, sie in die Arme zu schließen! Er wollte sie festhalten und nie mehr loslassen. Er wollte sie trösten und sie um Verzeihung bitten. Doch seine Angst war stärker. „Ich liebe Sie nicht genug, um Sie glücklich zu machen“, wiederholte er leise.
„Sie lügen. Oder Sie kennen die Wahrheit nicht“, stellte Clara fest.
Sie bemühte sich nicht, ihren Kummer zu verbergen. In ihrem Unglück war sie so offen und ehrlich wie in allem anderen auch. Sebastian liebte sie dafür nur noch mehr.
„Schauen Sie mich an!“, forderte sie und wandte sich um.
Er gehorchte.
„Ich hatte unrecht“, fuhr
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