01 - Nicht ohne meine Tochter
verhielten sich die meisten Iraner, die ich hier kannte, kultiviert und höflich. Sicher, sie hatten etwas altmodische Ansichten über Frauen, aber das drückte sich normalerweise in vornehmer Höflichkeit aus, die eigentlich eher schmeichelhaft war. Ich hatte mir vorgenommen, eine großzügige Gastgeberin für Moodys Neffen zu sein. Mit Freuden bereitete ich ein Iranisches Abendessen vor, während ich und die Kinder auf die Ankunft der Männer warteten. Unglücklicherweise hasste ich Mammal von dem Moment an, als er durch die Tür kam. Er war von kleiner Statur, wie die meisten iranischen Männer. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, legte er ein anmaßend großspuriges Benehmen an den Tag. Durch seinen Stoppelbart wirkte er ungepflegt. Er hatte kleine tiefliegende Augen, die geradewegs durch mich hindurch starrten, als ob ich überhaupt nicht existierte. Sein ganzes Gebaren schien zu sagen: Wer bist du schon? Ich bin mehr Wert als du!
Außerdem fand ich seinen Einfluss auf Moody beunruhigend. »Du musst uns in Teheran besuchen kommen. Alle warten darauf, dich und Mahtab zu sehen.« Das waren beinahe die ersten Worte aus seinem Mund. Ich war von dem Gedanken entsetzt. An diesem ersten Abend verbrachten die Männer Stunden damit, sich aufgeregt in Farsi zu unterhalten. Vielleicht war das verständlich, denn sie konnten viele Neuigkeiten über die Familie austauschen, aber ich fürchtete, Moody könnte Mammals Einladung ernstnehmen. Doch da sie nur in Farsi sprachen, obwohl Mammals Englisch ganz ordentlich war, schlossen sie mich völlig aus ihrer Unterhaltung aus.
Nach kurzer Zeit begann ich, die noch verbleibenden Stunden des Wochenendes zu zählen, und freute mich schon auf einen ruhigen Sonntag Abend, wenn Moody und Mammal wieder auf dem Weg zurück nach Detroit sein würden. Aber am Sonntag Nachmittag sagte Moody zu mir: »Lass ihn hier bei dir wohnen, während ich die Vorbereitungen für seine Operation treffe.« »Nein.«, sagte ich. »Er ist dein Neffe und dein Gast.« Ruhig wies Moody darauf hin, dass er in der Klinik arbeiten musste. Mammal brauchte Pflege. Er war auf eine Schon-Diät gesetzt worden. Ich konnte ein paar Tage nicht zur Arbeit gehen, bis der Termin für die Operation feststand. Ich beschloss, das Beste daraus zu machen. Ich hatte Mitleid mit Mammal, weil die Fluglinie sein Gepäck verschlampt hatte. Meine Freundin Annie Kuredjian, eine Amerikanerin, die Schneiderin war, begleitete mich, um für Mammal neue Kleidung zum Wechseln zu kaufen.
Annie änderte alle Sachen, damit sie Mammals ungewöhnlich schlanker Statur passten. Mammal nahm die Kleidungsstücke ohne Dank entgegen, verstaute sie in seinem Zimmer und trug weiterhin dasselbe stinkende Hemd und seine Bluejeans. Als Mammals Koffer gefunden worden war und ihm endlich geschickt wurde, war er voller Geschenke für uns. Aber Kleidungsstücke waren nicht eingepackt worden. Obwohl Mammal vermutlich mehrere Monate in den Vereinigten Staaten sein würde, hatte er offensichtlich vor, täglich dieselben Sachen zu tragen. »Willst du nicht, dass ich dir deine Kleider mal wasche?«, fragte ich. »Nein.«, desinteressiert schüttelte er den Kopf. Als Moody am folgenden Wochenende nach Hause kam, fand ich es unglaublich, dass er den Gestank nicht bemerkte, bis ich ihn darauf hinwies. »Geh und zieh deine Kleider aus, damit Betty sie waschen kann.«, befahl Moody Mammal. »Und geh auch unter die Dusche.« Moodys Neffe gehorchte und schnitt eine Grimasse. Duschen war ein seltenes Ereignis in seinem Leben, und er sah es eher als unangenehme Belästigung denn als neue Erfahrung an. Zwei ganze Wochen lang war Mammal ein fauler, anspruchsvoller, unverschämter Gast in meinem Haus, bis ich ihn zu seiner Operation ins Krankenhaus von Carson City fuhr. Ich machte einen Besuch bei meiner Familie, kehrte dann nach Alpena zurück und entließ Mammal aus meinem Leben.
Später erzählte Moody mir, dass Mammal beleidigt gewesen war, weil ich mir nicht noch einmal frei genommen, für die Nacht einen Babysitter für die Kinder besorgt und die vierstündige Fahrt noch einmal auf mich genommen hätte um ihm bei seiner Operation beizustehen. Zehn Tage vergingen, in denen Mammal im Krankenhaus blieb, um sich zu erholen. Dann fuhr Moody seinen genesenden Neffen von Carson City nach Alpena und stellte ihn nochmals unter meine Obhut. »Nein, ich will nicht mehr für ihn sorgen.«, protestierte ich. »Was ist, wenn ihm etwas zustößt? Du bist der
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