01 - Schatten der Könige
Pfad nach Osten verbreiterte sich zu einem steinigen Karrenweg, der durch wildes Buschwerk führte, wo Fingerdorn mit Hundeefeu um die Vorherrschaft im Unterholz wetteiferte. Kurz daraufstieg der Weg ein Stück an und senkte sich anschließend über eine Folge buschbestandener Hügelkuppen. Von deren Höhe blickten sie auf endlose Wälder, deren wogendes Dunkelgrün gelegentlich von einem Felsvorsprung oder einem funkelnden Weiher unterbrochen wurde.
Am späten Nachmittag stießen sie auf die ersten Anzeichen des Lagers. Rauchfahnen von Holzfeuern kräuselten sich über den Baumwipfeln. Als sie sich ihnen auf dem freien Weg näherten, stürmte eine Patrouille der Mogaun aus einem Dickicht. Sie hielten die Speere erhoben und die Bögen schussbereit gespannt. Als sie Obax und Byrnak erkannten, hielten die Mogaun jedoch inne, knieten nieder und pressten die Stirn auf den staubigen Bogen.
»Sputet Euch, dass ihr vor uns im Lager seid!«, befahl Obax streng. »Meldet Euren Häuptlingen, der Große Gebieter Byrnak sei eingetroffen.«
Der Anführer der Patrouille hob den Kopf. »Ich höre und gehorche, Hohe Herren!« Er befahl seinen Kämpfern aufzustehen, schickte einen zum Lager voraus und verbeugte sich vor den Ankömmlingen, bevor er mit seinen Männern wieder im Schutz des Dickichts verschwand.
Nach einer halben Stunde erreichten sie das Lager, und Byrnak sah sich stirnrunzelnd um. Aus den schroffen Felswänden des Plateaus, die sich steil vor ihnen erhoben, entsprang eine niedrige Klippe. An beiden Seiten rauschten Flüsse vorbei, die sich zu einem breiteren Wasserlauf vereinigten, der im Wald verschwand. Der Großteil der Zelte, die viele hundert zählen mussten, war rund um die Klippe errichtet worden und wurde nach Süden hin von einer Palisadenmauer geschützt. Auf der Klippe selbst befand sich ein großes Zelt, das offensichtlich aus verschiedenen Segeltuchbahnen zusammengestückelt worden war und von einer Handvoll kleinerer Zelte umringt wurde. Ein einziges, großes Banner hing reglos an seiner Stange vor dem Eingang. Es zeigte eine grüne Flamme vor einem roten Hintergrund.
Byrnak lächelte verächtlich. Ystregul, Schattenkönig und selbsternannter »Vater der Flammen«, hielt Hof.
Die Tore in den Palisaden schwangen auf, als sie sich näherten, und tausende von Kriegern, die sich zu beiden Seiten versammelt hatten, jubelten ihnen zu. Obax ignorierte diesen Willkommensgruß, Byrnak jedoch nickte grinsend, und ließ seinen Blick über die Clanszeichen und Stammestotems gleiten, die bei ihrer Parade erhoben und geschwenkt wurden. Der üble Gestank ungewaschener Leiber drang ihnen in die Nase, doch Byrnak verzog keine Miene, sondern drehte nur beobachtend den Kopf von einer Seite zur anderen, um die Stärke dieser wilden Kämpfer einzuschätzen. Sechzehn Jahre der Oberherrschaft über Khatrimantine hatten sie weder verweichlichen lassen noch sie satt und behäbig gemacht. Dafür sorgten ihre Häuptlinge und Schamanen, die auch darauf achteten, dass kein Clan seine traditionelle Lebensweise als Halbnomaden zugunsten der Bequemlichkeit des Stadtlebens aufgab. Die kleinen Rivalitäten und Feindseligkeiten zwischen den mächtigen und weniger mächtigen Häuptlingen hielten ihre Kampfkraft wach, ohne dass diese Streitigkeiten jemals überhand nahmen. Doch während Byrnak an den Männern und Frauen vorüberritt, bemerkte er auch, dass einige Mogaun ihn mit Blicken maßen, die verschlagener und weniger begeistert wirkten. Er erinnerte sich an das, was sein Schattenkönig-Bruder Thraelor über bestimmte Häuptlinge gesagt hatte. Sie hatten gezögert, an dem diesjährigen Blutfest teilzunehmen.
Ich werde euch schon bald einschätzen können, meine Freunde, dachte er, und in den Schlachten, die uns bevorstehen, wird sich die Spreu vom Weizen trennen.
Die Masse der Kämpfer wich vor den beiden Männern zurück und bildete eine Gasse, durch die sich eine Gruppe offensichtlich bedeutenderer Mogaun-Häuptlinge näherte, um sie zu begrüßen. Die meisten der Oberhäuptlinge waren große Männer mit massigen Brustkörben, und alle waren in einem bunten Sammelsurium aus Fellen und glänzender Rüstung gekleidet, das dem Betrachter sofort ins Auge fiel. Hier schimmerte eine Brustplatte, dort ein Schulterstück oder ein langer, lederner Mantel mit hohem, steifem Kragen. Sie alle trugen reich verzierte Schilde und Schwerter, Kriegstrophäen, die sie grob nach ihrem Gutdünken umgestaltet hatten, sowie die uralten Banner der
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