01 - Schatten der Könige
immense, freie Himmel über den ausgedehnten Ebenen, die riesigen, verwitterten Natursteinsäulen im Moor der Stelen, die uralten Steinbrüche der Ogairn-Berge, die wie schwarze Wunden klafften, all das enthielt den Widerhall uralter Gedankenfetzen, die gerade außerhalb seines Bewusstseins schwebten. Gelegentlich überkamen ihn Visionen, vollkommene Visionen mit dem Geruch, dem Geschmack und dem Gefühl des Regens, der Sonne und des Windes auf seiner Haut. Als er jetzt auf seinem Pferd saß und mürrisch über das Plateau blickte, traf ihn eine solche Vision wie ein Hieb. Sie erfüllte Augen und Verstand, und fesselte einen flüchtigen Moment sein Denken. Er schwankte im Sattel, senkte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Da hörte er den gleichmäßigen Trott eines Pferdes, das sich ihm von hinten näherte. Ein Reiter.
Byrnak richtete sich auf, und sein Blick glühte von unterdrücktem Ärger. »Obax«, knurrte er. »Schaue und sag mir, was du siehst.«
»Ich sehe das Plateau, Gebieter.«
»Ja. Und?«
»Ich sehe Bäume, einen ausgedehnten Wald, einen Strom …«
»Siehst du auch etwas Lebendiges, Obax?«
»Gewiss sind dort auch Kreaturen, Gebieter. Vögel, Füchse, Mäuse, Fische …«
»Ich werde dir sagen, was ich gesehen habe«, fiel Byrnak ihm ins Wort. »Endlose Weiten voller Schlamm und blutiger Steine, ein verbranntes Land, zermalmt und vergiftet, eine bleierne Ebene aus Schmutz, auf der sich die Menschen wie Würmer zwischen dem Verfall krümmten.« Er stieß ein bellendes Gelächter aus. »Das Reich der Zerstörung!«
Nach diesen Worten trieb er seinem Pferd rücksichtslos die Hacken in die Flanken und galoppierte den Pfad hinunter. Mit dem Zügelnde schlug er auf das Tier ein, um es anzutreiben, als könne er auf diese Weise dem Anblick der Verwüstung entrinnen. Denn ihm schien, als habe man ihn in seinem Verstand gezeigt, was am Ende von seinem Selbst, von Byrnak, übrig blieb, wenn die Schattenkönige sich vereinigten und den Herrscher des Zwielichts wiederauferstehen ließen.
Selbst jetzt spürte er diese nebelhafte Anwesenheit im Hintergrund seiner Gedanken. Sein angespannter, gehetzter Verstand verlieh ihm flüchtige, wechselnde Gestalt. Manchmal schien er ihm wie ein ungeschlachter Affe ohne ein Gesicht, dann wiederum ähnelte er einem dunklen Aasgeier, der aufmerksam wartete. Stets jedoch träufelte diese Wesenheit wahnsinnige Ideen in seine Gedanken, wie ein schwarzes Rinnsal aus unaussprechlicher Schlechtigkeit, aus dem ab und zu verworrene Visionen hervorsprudelten.
Sein Pferd galoppierte nun langsamer, und Byrnak zügelte es unter den ausladenden Ästen eines Baumes, wo er auf Obax wartete. Er beobachtete, wie der Akolyth heranritt, und bemerkte den zufriedenen Ausdruck auf dem länglichen Gesicht mit den weißen Augen. Byrnak wusste, dass seine Anfälle und Rasereien Obax immenses Vergnügen bereiteten, waren es doch Vorboten des Erhabenen Fürsten und seines letztendlichen Triumphes. Byrnak ließ sich seine inneren Qualen so wenig wie möglich anmerken, für gewöhnlich jedenfalls.
»Geht es Euch gut, Gebieter?«
Byrnaks Augen glitzerten vor Ärger. »Suchst du Schwäche, Obax? Täuschungen des Verstandes, vielleicht? Du wirst nichts dergleichen finden!«
Der Akolyth neigte ehrfürchtig den Kopf, dennoch wirkte die Geste nicht unterwürfig. »Im Gegenteil, Gebieter, Euer stetes Wohl liegt mir am Herzen, denn es dient unserem gemeinsamen Ziel.« Die milchigen Linsen seiner Augen schienen durch ihn hindurchzublicken, und Byrnak spielte kurz mit dem Gedanken, den verwitterten Akolythen zu bestrafen. Doch damit verhielte er sich in den Augen seiner Brüder, der vier anderen Schattenkönige, nur närrisch und unbeherrscht. Es war nicht der rechte Moment. Zudem könnte es sich als schwierig erweisen, einen anderen Akolythen zu finden, der ihn so leicht ins Reich der Dämmerung führen konnte.
»Du solltest aufhören, mich belehren zu wollen, Obax«, erwiderte er mit genau dem richtigen Maß an unterschwelliger Drohung in seiner Stimme. »Das macht dir das Leben leichter und bewahrt dich vor Übel.«
Er spornte sein Pferd an und trieb es in einem gemäßigten Galopp über den Pfad. Möge die Zerstörung kommen und alles verzehren!, dachte er. Soll die Verheerung überall regieren außer in meinem Verstand.
Im gleichen Moment schien eine dunkle Wesenheit über den Bodensatz seiner Gedanken zu gleiten, ein Schatten unter Schatten, schweigend und beobachtend.
Der
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