01 - Wie Feuer im Blut
durchsichtigen Haut. Ihr Gesicht war genauso blass
wie ihre Hände, und ihr Haar ...
Er
setzte sich auf einen Stuhl ans Bett, nahm eine schwarze Haarsträhne und rieb
sie zwischen den Fingern. Er erinnerte sich an den herausfordernden Blick aus
den blauen Augen. Das war zweifellos das Erziehungsergebnis von Caldbergh:
dort hatte man sie zornig und ängstlich zugleich gemacht. Er dachte daran,
dass seine Mutter früher nur im Flüsterton vom Arbeitshaus gesprochen hatte,
um die noch zarten Nerven ihrer Kinder nicht allzu sehr zu strapazieren. »Ich
fürchte, sie lassen die armen Dinger in diesem Haus hungern«, hatte seine
Mutter seinem Vater zugeflüstert. Sein Vater hatte nur die Schnupftabakdose
hervorgeholt und gesagt: »Lade dir nicht noch die Sorge um diese armen Geschöpfe
auf, meine Liebe. Danke Gott, dass unsere Söhne und unsere Tochter zur
privilegierten Schicht gehören.«
Damien
dachte bei sich, dass dieses Mädchen tatsächlich verhungert aussah. Und der
Himmel wußte, was sie den Menschen dort außer Prügel noch alles antaten!
Bonnie
wimmerte leise, drehte dann Damien ihr Gesicht zu, und einen Moment lang schien
sie zu lächeln. Er ertappte sich dabei, wie er zurückgrinste, bis sich ihre
Lippen im Schmerz verzerrten. Sie keuchte und holte rasselnd Luft,
»Diese
Krankheit hat sich nicht erst in den letzten Tagen entwickelt«, hörte er den
Arzt sagen. »Weiß der Himmel, wie lange dieses Kind schon leidet.«
»Können
Sie denn nichts für sie tun?« fragte Damien, der noch immer das Gesicht des
Mädchens musterte.
»Ich
habe alles getan, was ich kann.«
Ihre
Lider waren von einem blassen Purpur, ihre Wimpern wie Rabenschwingen -
kohlschwarz und dicht. Ihre Brauen waren ebenfalls schwarz. Und ihr Haar ...
Es
bedeckte das Kissen wie gesponnene Seide und sammelte sich auf seinem Schoß
wie nasse schwarze Tinte.
»Wie
ich hörte, ist sie aus Caldbergh durchgebrannt,« sagte der Arzt.
Damien
blinzelte, nickte dann, lehnte sich ein wenig zurück und streckte die Beine
aus.
»Es
könnte Scherereien geben, wenn sie überlebt, Mylord.«
»Kann
sein.«
Der
Arzt, der sich die Hände am Kaminfeuer wärmte, starrte die Dresdner Porzellanfiguren
auf dem Kaminsims an. »Ihre Mutter war sich der Zustände in Caldbergh nur zu
sehr bewußt. Sie versuchte ständig, bei ihren Freunden Mitstreiter zu
gewinnen, um die Misshandlung der Kinder dort zu unterbinden.«
»Vermutlich
hat sie ihr Möglichstes getan.« Damiens Blick wanderte kurz zu dem Mädchen,
dann zurück zum Arzt am Kamin.
»Ich muss
gestehen, dass ihr Zustand sehr ernst ist. Im Augenblick grassiert die
Lungenentzündung im Arbeitshaus, aber wenn ich dorthin gerufen werde, sind die
Kinder meistens schon in so kritischem Zustand, dass ich kaum noch etwas
auszurichten vermag. Kein Wunder, dass die Kinder, die noch die Chance haben,
erwachsen zu werden, ein gestörtes Verhältnis zur Gesellschaft haben.«
»Kein
Wunder«, bestätigte Damien.
»Man müsste
etwas unternehmen«, fügte der Arzt mehr zu sich selbst, als an Damien gewandt,
hinzu. Aber Damien wußte, dass der Doktor eine ganze Nacht Geschichten über die
schlimmen Zustände im Arbeitshaus von Caldbergh erzählen konnte und wieder
einmal an die Beauftragten Ihrer Majestät schreiben und sich den Hausverwalter
persönlich vorknöpfen würde. Aber bei den Protesten würde er es dann bewenden
lassen. Dr. Whitman wurde mindestens einmal in der Woche ins Arbeitshaus
gerufen, und Damien hatte den starken Verdacht, dass der gute Doktor eine hohe
Summe für seine Bemühungen, seine Toleranz ... und vielleicht auch für sein
Schweigen kassierte.
Als
sich Bonnie unruhig bewegte, stellte sich Damien ans Bett. Bonnies Wangen waren
nun so rot wie brennende Fackeln und mit einem Schweißfilm bedeckt. Ihre Lippen
öffneten sich, und sich flüsterte: »Papa.«
Ihre
Lider hoben sich ein wenig, doch dann öffneten sie sich weit, als Bonnie Damien
erkannte. Er lächelte, und sie lächelte zurück.
»Oh«,
stammelte sie. »Du bist hier. Endlich bist du nach Hause gekommen.«
Damien
ergriff ihre Hand. Sie war weich und schmal und schrecklich heiß.
Ihre
Augen schlossen sich wieder. So langsam, als wäre die Bewegung so mühsam wie
das Luftholen, und zugleich umklammerten ihre Finger wie die eines Babys
seinen Zeigefinger. Er starrte auf die schmale Hand, auf das gezackte Muster
ihrer abgeknabberten Fingernägel und beobachtete nun wie gebannt ihre Brust,
die sich unregelmäßig hob und senkte. Er wußte
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