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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Städten der Bleichgesichter.“
    „Dorthin soll ich, meinst du?“
    „Ja.“
    „Warum?“
    „Um zu lernen, was du wissen und können mußt, wenn Old Shatterhand dich lieben soll.“
    „So will ich hin, bald, sehr bald! Will mein Bruder Winnetou mir einen Wunsch erfüllen?“
    „Welchen?“
    „Sprich mit Intschu tschuna, unserm Vater, darüber! Bitte ihn, mich nach den großen Städten der Bleichgesichter gehen zu lassen! Er wird nicht nein sagen, denn – – –“
    Mehr hörte ich nicht, denn ich kroch jetzt leise wieder zurück. Es kam mir fast wie eine Sünde vor, dieses Gespräch der Geschwister belauscht zu haben. Wenn sie es nur nicht merkten! Welche Verlegenheit für sie und noch viel mehr auch für mich! Es galt, jetzt bei meinem Rückzug noch viel vorsichtiger zu sein als vorhin bei meiner Annäherung. Das geringste Geräusch, der kleinste Zufall konnte es verraten, daß ich das Geheimnis der schönen Indianerin erfahren hatte. Und in diesem Fall war ich gezwungen, meine roten Freunde heut noch zu verlassen.
    Glücklicherweise gelang es mir, mich unbemerkt zurückzuziehen. Als ich außer Hörweite angelangt war, erhob ich mich vom Boden und ging im Kreis schnell um die Lichtung herum, bis ich wieder auf die Fährte traf. Auf dieser trat ich dann auf der Seite, von welcher ich vorhin gekommen war und von welcher ich von Nscho-tschi erwartet wurde, zwei oder drei Schritte auf die Lichtung hinaus und rief über dieselbe hinüber:
    „Mein Bruder Winnetou mag herüberkommen!“
    Es regte sich nichts drüben; darum fuhr ich fort:
    „Mein Bruder mag kommen, denn ich sehe ihn!“
    Er kam trotzdem nicht.
    „Er sitzt drüben im Gebüsch der wilden Pflaumen. Soll ich ihn vielleicht holen?“
    Da bewegten sich die Zweige, und Winnetou trat hervor, doch allein. Er hatte nicht länger stecken bleiben können, wollte aber das Versteck seiner Schwester noch geheim halten und fragte mich:
    „Hat mein Bruder Old Shatterhand Nscho-tschi gefunden?“
    „Ja.“
    „Wo?“
    „Da, wo sie verborgen ist, im Gebüsch.“
    „In welchem Gebüsch?“
    „In demjenigen, wohin mich ihre Fährte führt.“
    „Hast du denn ihre Fährte gesehen?“
    Das klang sehr verwundert. Er wußte nicht, woran er mit mir war. Daß ich die Unwahrheit sagte, das glaubte er nicht; aber von einer Fährte wußte er nichts, und da er nicht einen Augenblick von seiner Schwester weggekommen war, so hegte er die Überzeugung, daß ich sie nicht entdeckt hatte. Seiner Meinung nach mußte ich mich im Irrtum befinden, durch irgend etwas getäuscht worden sein.
    „Ja“, antwortete ich: „ich habe sie gesehen.“
    „Aber meine Schwester hat sich doch so in acht genommen, daß keine Spur zu sehen ist!“
    „Du irrst. Sie ist zu sehen.“
    „Nein!“
    „An der Erde nicht, aber im Gezweig. Nscho-tschi hat mit ihren Füßen den Boden nicht berührt, aber indem du sie trugst, habt ihr Zweige geknickt und Blätter beschädigt.“
    „Uff! Ich hätte sie getragen?“
    „Ja.“
    „Wer sagt es dir?“
    „Deine Fußstapfen. Sie waren plötzlich tiefer geworden, weil du schwerer geworden warst. Da du aber dein Gewicht nicht verändert haben konntest, so mußtest du eine Last aufgenommen haben. Diese Last war deine Schwester, deren Fuß, wie ich sah, das Moos nicht berührt hatte.“
    „Uff! Du irrst. Geh noch einmal zurück und suche nach!“
    „Das würde vergeblich sein und ist auch höchst überflüssig, denn Nscho-tschi sitzt dort, wo du gesessen hast. Ich werde sie holen.“
    Ich ging vollends über die Lichtung hinüber; da kam sie aber schon aus dem Gesträuch und sagte im Ton der Befriedigung zu ihrem Bruder:
    „Ich sagte dir, daß er mich finden würde, und ich hatte recht.“
    „Ja, meine Schwester hatte recht, und ich irrte mich. Mein Bruder Old Shatterhand kann die Fährte eines Menschen nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Gedanken lesen. Es gibt da fast nichts mehr, was er noch zu lernen hat.“
    „O noch sehr, sehr viel“, antwortete ich. „Mein Bruder Winnetou sagt ein Lob, welches ich noch nicht verdiene; aber was ich noch nicht kann, das werde ich noch von ihm lernen.“
    Es war wirklich das erste Lob, welches ich aus seinem Mund hörte, und ich gestehe es, daß ich ebenso stolz auf dasselbe war, wie früher auf ein gelegentliches Lob irgendeiner meiner Professoren.
    Am Abend desselben Tages brachte er mir einen sehr gut gearbeiteten und mit roten indianischen Stickereien verzierten Jagdanzug von weißgegerbtem

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