01 - Winnetou I
Leder.
„Nscho-tschi, meine Schwester, bittet dich, diese Kleidung zu tragen“, sagte er. „Dein Anzug ist für Old Shatterhand nicht mehr gut genug.“
Da hatte er freilich sehr recht. Mein Habit sah sogar für indianische Augen sehr herabgekommen aus. Wäre ich in einer europäischen Stadt in demselben ertappt worden, so hätte man mich auf der Stelle als einen Hauptvagabunden arretiert. Aber durfte ich von Nscho-tschi ein solches Geschenk annehmen? Winnetou schien meine Gedanken zu erraten; er sagte:
„Du darfst diesen Anzug nehmen, denn ich habe ihn bestellt; er ist ein Geschenk von Winnetou, den du vom Tod errettet hast, und nicht von seiner Schwester. Ist es den Bleichgesichtern verboten, von einer Squaw Geschenke anzunehmen?“
„Wenn es nicht seine eigene Squaw oder Verwandte ist, ja.“
„Du bist mein Bruder; Nscho-tschi ist dir also verwandt. Dennoch ist dies Geschenk von mir und nicht von ihr; sie hat es nur für dich gefertigt.“
Als ich den Anzug am nächsten Morgen anprobierte, saß er wie angegossen. Ein New Yorker Herrenschneider hätte das Maß nicht besser treffen können. Ich zeigte mich natürlich meiner schönen Freundin, welche außerordentlich über das Lob, welches ich aussprach, erfreut war. Kurze Zeit später stellten sich Dick Stone und Will Parker bei mir ein, um sich von mir bewundern zu lassen; sie waren auch mit neuen Anzügen beschenkt worden, welche aber nicht von Nscho-tschi, sondern von andern Squaws gefertigt worden waren. Und abermals kurze Zeit später befand ich mich im Haupttal, um mich im Werfen des Tomahawk zu üben, da kam eine kleine, sonderbare Gestalt in sehr gravitätischer Haltung auf mich zu. Es war ein neuer, lederner indianischer Anzug, welcher unten in einem Paar alter, ungeheuer großer Indianerstiefel endete. Oben darüber gab es einen noch älteren Filzhut mit sehr wehmütig herabhängender Krampe, unter welcher ein sehr verworrener Bartwald, eine riesige Nase und zwei kleine, listige Äuglein hervorblickten. Daran erkannte ich meinen kleinen Sam Hawkens. Er pflanzte sich, die dünnen, krummen Beinchen weit auseinander spreizend, höchst anspruchsvoll vor mir auf und fragte:
„Sir, kennt Ihr vielleicht den Mann, der jetzt vor Euch steht?“
„Hm!“ antwortete ich. „Will einmal sehen!“
Ich nahm ihn bei seinen Armen, drehte ihn dreimal um sich selbst, betrachtete ihn dabei von allen Seiten und sagte dann:
„Das scheint wahrhaftig Sam Hawkens zu sein, wenn ich mich nicht irre!“
„Yes, mylord! Ihr irrt Euch nicht. Ich bin es, in eigener Person und Lebensgröße. Merkt Ihr etwas?“
„Funkelnagelneuer Anzug!“
„Will es meinen!“
„Von wem?“
„Von der Bärenhaut, die Ihr mir geschenkt habt.“
„Das sehe ich, Sam. Wenn ich aber frage, ‚von wem?’ so will ich die Person wissen, von der Ihr den Anzug habt.“
„Die Person? Hm! Ach so! Ja, die Person, Sir? Das ist so eine Sache. Eigentlich ist sie gar keine Person.“
„Was denn?“
„Ein Persönchen.“
„Wieso?“
„Na, kennt Ihr denn die hübsche Kliuna-ai nicht?“
„Nein. Kliuna-ai heißt Mond. Ist's ein Mädchen oder eine Squaw?“
„Beides, oder vielmehr keins von beiden.“
„Also Großmutter?“
„Unsinn! Wenn sie sowohl Squaw als auch Mädchen oder vielmehr keins von beiden ist, so muß sie natürlich Witwe sein. Sie ist die hinterlassene Squaw eines Apachen, der im letzten Kampf mit den Kiowas gefallen ist.“
„Und die Ihr darüber trösten wollt?“
„Well, Sir“, nickte er. „Bin ihr gar nicht abgeneigt; habe sogar ein Auge auf sie geworfen, oder vielmehr alle beide.“
„Aber, Sam, eine Indianerin!“
„Was ist's weiter? Würde sogar eine Negerin heiraten, wenn sie nicht schwarz wäre. Übrigens ist Kliuna-ai eine vortreffliche Partie.“
„Warum?“
„Weil sie das beste Leder im ganzen Stamm gerbt.“
„Wollt Ihr Euch gerben lassen?“
„Macht keine Witze, Sir! Es ist mir Ernst. Ein trautes Heim – – – Versteht Ihr mich? Sie hat so ein volles, rundes Gesicht, grad wie der Mond.“
„Mit einem ersten und einem letzten Viertel?“
„Ich bitte nochmals, mit dem Mond keine Witze zu machen! Sie ist Vollmond, und ich heirate sie, wenn ich mich nicht irre.“
„Hoffentlich wird kein Neumond draus. Wie habt Ihr denn diese Bekanntschaft gemacht?“
„Eben durch die Gerberei. Erkundigte mich nach der besten Gerberin, nämlich des Bärenfells wegen; da wurde sie mir empfohlen. Trug ihr also das Fell hin und merkte
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