01 - Winnetou I
stets vorsichtig zu sein, suchten die Häuptlinge die Umgegend erst sehr sorgfältig ab, ehe sie die Weisung erteilten, uns zu lagern. Das Wasser war ein Spring (Quell), der hell und stark aus der Erde hervorsprudelte. Gras für die Pferde gab es genug, und da der Platz rings von Bäumen und Gebüsch umschlossen war, so konnten wir helle Feuer brennen, ohne daß dieselben weit gesehen wurden. Zudem stellte Intschu tschuna zwei Wachen aus, und so schien alles geschehen zu sein, was durch die Sorge für unsere Sicherheit geboten war.
Die dreißig Apachen lagerten sich, wie gewöhnlich, in gar nicht nötiger Entfernung von uns nieder, um, als die Feuer brannten, ihre Portion Dürrfleisch zu essen. Wir sieben saßen am Rand des Buschwerkes um unser Feuer. Diese Nähe des Gesträuches war aufgesucht worden, weil wir da vor dem kühlen Wind geschützt waren, welcher heut abend wehte.
Nach dem Abendessen pflegten wir uns einige Zeit zu unterhalten; so auch heut. Im Lauf dieses Gespräches sagte Intschu tschuna, daß wir morgen später als gewöhnlich, nämlich erst zu Mittag, aufbrechen würden, und von Sam Hawkens nach dem Grund dieser Verzögerung gefragt, erklärte er mit einer Aufrichtigkeit, welche ich später tief beklagte:
„Es sollte eigentlich ein Geheimnis sein; aber meinen weißen Brüdern darf ich es anvertrauen, wenn sie mir versprechen, demselben nicht nachzuspüren.“
Als wir dieses Versprechen gegeben hatte, fuhr er fort:
„Wir brauchen Geld; darum werde ich morgen früh mit meinen Kindern von hier fortgehen, um Nuggets zu holen, und erst am Mittag wiederkommen.“
Stone und Parker ließen Rufe der Verwunderung hören, und Hawkens erkundigte sich, nicht weniger erstaunt:
„So gibt es Gold hier in der Nähe?“
„Ja“, antwortete Intschu tschuna. „Niemand ahnt etwas davon; auch meine Krieger wissen es nicht. Ich habe es von meinem Vater erfahren, der es von dem seinigen erfuhr. Solche Geheimnisse vererben sich nur von den Vätern auf die Söhne und werden sehr heilig gehalten. Man teilt sie selbst dem besten Freund nicht mit. Ich habe jetzt zwar davon gesprochen, würde aber den Ort keinem Menschen sagen oder gar zeigen und einen jeden niederschießen, der es wagte, uns zu folgen, um ihn zu erfahren.“
„Auch uns würdest du töten?“
„Auch euch! Ich habe euch Vertrauen erwiesen; wenn ihr es täuschtet, hättet ihr den Tod verdient. Ich weiß aber, daß ihr diesen Lagerplatz nicht eher verlassen werdet, als bis wir von unserm Gang zurückgekehrt sind.“
Damit brach er kurz und in warnendem Ton ab, und das Gespräch nahm eine andere Wendung. Dasselbe wurde nach einiger Zeit durch Sam unterbrochen. Intschu tschuna, Winnetou, Nscho-tschi und ich saßen mit dem Rücken nach dem Gebüsch gekehrt; Sam, Dick und Will hatten die Plätze an der andern Seite des Feuers inne und also das Gesträuch vor ihren Augen. Mitten in der Unterhaltung stieß Hawkens einen Ruf aus, griff nach seinem Gewehr, legte es an und schickte eine Kugel in die Büsche. Dieser Schuß versetzte natürlich das ganze Lager in Alarm. Die Indianer sprangen auf und kamen herbei. Auch wir erhoben uns schnell und fragten Sam, warum er geschossen habe.
„Ich habe zwei Augen gesehen, welche hinter Intschu tschuna aus dem Gesträuch hervorblickten“, erklärte er.
Sofort rissen die Roten Brände aus den Feuern und drangen in das Gesträuch ein. Ihr Suchen war vergeblich. Man beruhigte sich und setzte sich wieder nieder.
„Sam Hawkens wird sich geirrt haben“, sagte Intschu tschuna. „Bei einem flackernden Feuer sind solche Täuschungen sehr leicht möglich.“
„Sollte mich wundern; glaube, die zwei Augen ganz gewiß gesehen zu haben.“
„Der Wind wird zwei Blätter umgedreht haben; mein weißer Bruder hat da ihre untere Seite gesehen, welche heller ist, und sie für Augen gehalten.“
„Das wäre allerdings möglich; habe also Blätter totgeschossen – hihihihi!“
Er lachte in seiner Weise in sich hinein. Winnetou betrachtete die Sache nicht von dieser spaßhaften Seite, sondern sagte in ernstem Ton:
„Mein Bruder Sam hat auf jeden Fall einen Fehler begangen, vor welchem er sich später stets hüten mag!“
„Einen Fehler? Ich? Wieso?“
„Es durfte nicht geschossen werden.“
„Nicht? Das wäre! Wenn ein Spion im Busch steckt, so habe ich das Recht, ihm eine Kugel zu geben, wenn ich mich nicht irre.“
„Weiß man, ob der Späher feindliche Absichten hat? Er entdeckt uns und schleicht sich heran,
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