Insel, aus Traeumen geboren
PROLOG
Olivia und Jack waren das perfekte Paar. Sie hatten denselben Beruf, dieselben Ziele im Leben, und sie teilten ihre Vorliebe für antike Bauwerke. Im Gegensatz zu ihr, die schon morgens putzmunter war, war er allerdings ein Nachtmensch, was nicht weiter schlimm war. Sie waren füreinander bestimmt, und jeder, der sich in ihrer Nähe aufhielt, konnte das Knistern zwischen ihnen förmlich spüren.
Im Juni hatten sie sich kennengelernt und im September in Positano geheiratet. Auch wenn das Brautbouquet aus weißen Lilien erst nach der Trauungszeremonie eingetroffen war, der Fotograf kein Wort Englisch gesprochen, der Bruder des Bräutigams verschlafen und die Hochzeitsgesellschaft sich auf dem Weg durch den Ort aus den Augen verloren hatte, war es für Olivia der glücklichste Tag in ihrem Leben gewesen.
Inzwischen hatte sie die kleinen Pannen längst vergessen. Immer in Erinnerung bleiben würde ihr dagegen, wie attraktiv Jack in seinem Smoking ausgesehen hatte und in dem weißen Hemd, das seine Sonnenbräune betonte. Und auch den Augenblick, als sie wie auf Wolken in dem weißen Seidenkleid ihrer Großmutter zu den Klängen eines Streichquartetts durch das Kirchenschiff zum Altar gegangen war, würde sie nie vergessen.
„Für immer“, hatte Jack geflüstert, als er ihr den Ring über den Finger streifte, in den das Hochzeitsdatum und ihre Initialen eingraviert waren. Dann forderte der Pfarrer ihn auf Italienisch auf, die Braut zu küssen, was Jack so leidenschaftlich tat, dass ein beifälliges Raunen durch die Kirche ging. In Olivias Augen standen Tränen des Glücks, als sie unter einem Regen von Rosenblättern die Kirche verließen.
Der anschließende Empfang fand in einem schlichten italienischen Hotel, das direkt am Meer lag, statt.
„Du bist wunderschön, Mrs. Oakley“, raunte Jack ihr zu, als sie sich am Tisch niederließen und die Kellner begannen, die Gläser mit Champagner zu füllen. Zärtlich schob er ihr eine Haarlocke hinters Ohr. „Ich kann noch gar nicht glauben, dass du jetzt mir gehörst. Mir ganz allein.“
„Das ist aber so, Mr. Oakley“, erwiderte Olivia mit einem glücklichen Lächeln. „Und zwar, bis wir alt und grau sind.“
„Bis wir zu alt sind, um noch an Ausgrabungen teilzunehmen.“
„Bis unsere Enkelkinder das übernehmen und für uns unsere Memoiren schreiben“, fuhr sie fort. „Zum Beispiel darüber, wie du das Haus der Vestalinnen in Pompeji entdeckt hast“, sagte er mit hörbarem Stolz. „Und wie du die Königsgräber bei Nimrud gefunden hast“, fügte sie hinzu. „Apropos Enkel – wie viele Kinder sollten wir denn deiner Meinung nach haben?“
„Oh, keine Ahnung. Zumindest so viele, dass sie uns die Schaufeln und Spitzhacken abnehmen könnten“, meinte Olivia.
„Und uns beim Graben und Aufzeichnungenmachen helfen“, ergänzte er.
„Aber was ist, wenn sie sich für den alten Kram nicht interessieren? Wenn sie keine Lust haben, mit uns zu all den antiken Stätten zu reisen? Wenn sie nur zu Hause sitzen und Videospiele mit ihren Freunden veranstalten wollen?“
Jack schüttelte den Kopf. „Sie werden bestimmt nach dir geraten und abenteuerlustig, bildhübsch, klug und hart im Nehmen sein. Worauf warten wir noch? Lass uns gleich damit anfangen, diese kleinen Wunderwesen zu produzieren.“
„Jetzt?“ Olivia blickte sich in dem Saal um, in dem Freunde und Verwandte aus allen Teilen der Welt sich eingefunden hatten, um mit ihnen zu feiern.
„Nein, heute Nacht in unserem Zimmer oberhalb der Stadt, mit dem Zitronenbaum vor dem Fenster und dem Rauschen des Meeres unten am Strand.“ Er streifte mit den Lippen ihre. „Abgemacht?“
Olivia nickte. Sie wäre ihm auch gefolgt, wenn er auf der Stelle hätte gehen wollen. Überallhin und jederzeit. Olivia hatte die gleichen Wünsche wie er und sehnte sich nach Liebe, Kindern und Erfolg und Anerkennung im Beruf. Doch am meisten wollte sie Jack. Es war nicht weiter schlimm, wenn sie im Moment keine Zeit für Flitterwochen hatten. Ein ganzes gemeinsames Leben lag vor ihnen. Am nächsten Tag mussten sie schon wieder nach Hause fliegen, da das Herbstsemester begann und sie beide einen Lehrstuhl am Archäologischen Institut innehatten.
Olivia war fast dreißig, Jack einige Jahre älter als sie. Warum sollten sie sich ihren Kinderwunsch nicht erfüllen? Der Nachwuchs würde ihrer Karriere nicht im Wege stehen und das Ebenbild des Vaters sein, seine Gutmütigkeit, seine Geduld, seine Zielstrebigkeit und
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