01 - Winnetou I
verstecken.
Wenn man von diesem Wäldchen aus nur fünfhundert Schritte zu Fuß ging, kam man wieder an ein Wäldchen, welches aber drüben auf dem rechten Ufer lag. Vor demselben tummelten Indianer ihre Pferde. Ich sah Pfähle in der Erde stecken, welche mit Riemen verbunden waren, an denen Fleisch hing. Wäre ich nur noch eine Pferdelänge weitergeritten, so hätten mich die Roten gesehen. Ich stieg vom Pferd und zeigte unsern Leuten die vor uns liegende Szene.
„Kiowas!“ sagte einer der Apachen.
„Ja, Kiowas“, stimmte Sam ihm bei. „Der Teufel muß diesen Santer sehr liebhaben, daß er ihn noch im letzten Augenblick diese Hilfe finden läßt. Ich streckte schon alle zehn Finger nach ihm aus; aber er soll uns trotzdem nicht entgehen.“
„Es ist keine starke Abteilung der Kiowas“, bemerkte ich.
„Hm! Wir sehen nur die, welche sich diesseits der Bäume befinden; jenseits derselben gibt es jedenfalls auch welche. Sind auf der Jagd gewesen und machen nun hier ihr Fleisch.“
„Was tun wir, Sam? Kehren wir um, um uns möglichst weit zurückzuziehen?“
„Fällt mir nicht ein! Wir bleiben hier.“
„Aber das ist gefährlich!“
„Gar nicht!“
„Wie leicht kann ein Roter hierherkommen!“
„Fällt keinem ein. Erstens befinden sie sich drüben am andern Ufer, und zweitens wird es gleich dunkel werden; da entfernen sie sich nicht mehr aus ihrem Lager.“
„Aber je größer die Vorsicht, desto besser!“
„Und je größer die Angst, desto greenhornlicher! Ich sage Euch, daß wir vor diesen Kiowas so sicher sind, als ob wir uns in New York befänden. Die denken nicht daran, hierherzukommen; aber wir werden zu ihnen gehen. Ich muß diesen Santer haben, und wenn ich ihn aus tausend Kiowas herausholen müßte!“
„Ihr seid heut das, was Ihr immer an mir tadelt, nämlich unvorsichtig!“
„Wie? Was? Unvorsichtig? Sam Hawkens und unvorsichtig! Da muß ich lachen, hihihihi! Das hat mir noch kein Mensch vorgeworfen! Sir, Ihr habt doch sonst keine Angst und geht sogar dem Grizzly mit dem Messer zu Leibe, warum da heut diese Bangigkeit!“
„Es ist nicht Bangigkeit, sondern Vorsicht. Wir befinden uns zu nahe bei den Feinden.“
„Zu nahe? Lächerlich! Ich denke sogar, daß wir ihnen noch näher rücken werden. Wartet nur, bis es dunkel ist.“
Er war heut anders als gewöhnlich. Der Tod der ‚schönen, lieben, guten roten Miß’ hatte ihn so empört, daß er nach Rache lechzte. Die Apachen gaben ihm recht; Parker und Stone stimmten ihm auch bei, und so konnte ich nichts dagegen tun. Wir banden unsere Pferde an und setzten uns nieder, um den Anbruch der Dunkelheit zu erwarten.
Ich muß freilich gestehen, daß die Kiowas sich so bewegten, als ob sie sich völlig sicher fühlten. Sie ritten oder liefen auf dem offenen Plane umher, riefen einander zu, kurz und gut, taten so unbefangen, als ob sie sich daheim in ihrem sichern, gut bewachten Indianerdorf befänden.
„Seht Ihr, wie ahnungslos sie sind!“ sagte Sam. „Bei denen gibt es heut keinen einzigen argen Gedanken.“
„Wenn Ihr Euch nicht irrt!“
„Sam Hawkens irrt sich nie!“
„Pshaw! Ich könnte Euch das Gegenteil beweisen. Ich habe etwas in mir wie eine Ahnung, daß sie sich verstellen.“
„Ahnung! Alte Squaws haben Ahnungen, sonst niemand. Merkt Euch das, verehrter Sir! Welchen Zweck könnte es denn haben, sich zu verstellen?“
„Um uns anzulocken.“
„Das ist ganz unnötig, denn wir werden auch ohne Lockung kommen.“
„Ihr nehmt doch an, daß Santer bei ihnen ist?“
„Natürlich. Als er hier an diese Stelle kam, hat er sie gesehen und ist über das leere Flußbett hinüber zu ihnen.“
„Und denkt Ihr, daß er ihnen erzählt hat, was geschehen ist und warum er Schutz bei ihnen sucht?“
„Welche Frage! Es versteht sich ganz von selbst, daß er ihnen das gesagt hat.“
„So hat er ihnen auch mitgeteilt, daß seine Verfolger ihm wahrscheinlich sehr nahe seien.“
„Meinetwegen auch das.“
„Dann wundert es mich, daß sie so gar keine Vorsichtsmaßregeln getroffen haben.“
„Ist gar nicht zu verwundern. Sie halten es einfach für unmöglich, daß die Nähe, von welcher Ihr redet, eine so bedeutende ist, und erwarten uns erst morgen. Sobald es dunkel genug ist, schleiche ich mich hinüber und sehe mir die Gelegenheit an. Dann wird sich finden, was wir tun. Ich muß diesen Santer haben.“
„Nun gut, so gehe ich mit!“
„Ist nicht nötig.“
„Ich halte es für sehr nötig.“
„Wenn Sam
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