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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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herbeigeschleppt worden waren und noch immer herbeigetragen wurden. Zu diesen Arbeitern gesellten sich sogleich die Apachen, welche ich mit mir gehabt hatte. Ich erfuhr, daß das Begräbnis am nächsten Tag stattfinden sollte.
    Seitwärts hatte man eine interimistische Hütte errichtet, in welcher die beiden Leichen aufbewahrt wurden. Winnetou befand sich in derselben. Es wurde ihm gesagt, daß wir angekommen seien, und er trat heraus. Wie sah er aus! Er war ja überhaupt sehr ernst und nur in seltenen Fällen glitt einmal ein Lächeln über sein Gesicht; laut lachen aber habe ich ihn niemals hören; jedoch lag auf seinen männlich schönen Zügen trotz dieses Ernstes stets ein Ausdruck der Güte und des Wohlwollens, und sein dunkles Sammetauge konnte bei Gelegenheit sogar außerordentlich freundlich blicken. Wie oft hat es auf mir mit einer Liebe und Zärtlichkeit geruht, deren Licht man sonst nur in Frauenaugen zu finden pflegt! Heut aber gab es von alledem keine Spur. Sein Gesicht schien steinhart geworden zu sein, und sein Auge blickte düster innenwärts. Seine Bewegungen waren langsam und schwer. So kam er auf mich zu, warf einen trüben, forschenden Blick umher, schüttelte mir matt die Hand, sah mir mit einem Ausdruck, der mir tief in die Seele schnitt, in die Augen und fragte:
    „Wann ist mein Bruder zurückgekehrt?“
    „Soeben.“
    „Wo befindet sich der Mörder?“
    „Er ist uns entgangen.“
    Die Aufrichtigkeit gebietet mir, zu gestehen, daß ich bei dieser Antwort den Blick zu Boden senkte. Ich möchte beinahe sagen, daß ich mich schämte, diese Worte auszusprechen.
    Auch er sah zur Erde nieder. Ich hätte in sein Inneres blicken mögen! Erst nach einer langen Pause erkundigte er sich:
    „Hat mein Bruder die Spur verloren?“
    „Nein; ich habe sie noch jetzt. Er wird hierher kommen.“
    „Old Shatterhand mag mir erzählen!“
    Er setzte sich auf einen Stein; ich tat desgleichen und lieferte ihm einen genauen, wahrheitstreuen Bericht. Er hörte ihn wortlos bis zu Ende an, schwieg auch noch darüber hinaus und fragte dann:
    „So weiß mein Bruder nicht genau, ob der Mörder von den Revolverkugeln getroffen worden ist?“
    „Nein; ich möchte aber annehmen, daß ich ihn nicht verwundet habe.“
    Er nickte leise, drückte mir die Hand und sagte:
    „Mein Bruder mag mir die Frage verzeihen, welche ich vorhin aussprach, die Frage, ob er die Spur verloren habe! Old Shatterhand hat alles getan, was er tun konnte, und am Schluß noch außerordentlich weise gehandelt. Sam Hawkens wird es sehr bedauern, unvorsichtig gewesen zu sein; wir werden es ihm verzeihen und ihn befreien. Ich denke auch wie mein Bruder: die Kiowas werden kommen; sie sollen uns aber anders finden, als sie uns zu finden hoffen. Der Gefangene mag nicht hart behandelt, aber scharf beobachtet werden. Morgen sollen die Gräber über Intschu tschuna und Nscho-tschi errichtet werden. Wird mein Bruder dabei sein?“
    „Es würde mich sehr schmerzen, wenn Winnetou es mir nicht erlaubte!“
    „Ich erlaube es nicht, sondern ich bitte dich darum. Deine Gegenwart wird vielleicht vielen Söhnen der Bleichgesichter das Leben erhalten. Das Gesetz des Blutes fordert den Tod vieler weißer Menschen; aber dein Auge ist wie die Sonne, deren Wärme das harte Eis zerweicht und in erquickendes Wasser verwandelt. Du weißt, wen ich verloren habe. Sei du mir Vater und sei du mir Schwester zugleich; ich bitte dich darum, Scharlih!“
    Eine Träne stand in seinem Auge. Er schämte sich ihrer, die er vor einem andern als mir unmöglich sehen lassen durfte, eilte davon und verschwand bei den Toten in der Hütte. Er nannte mich heut zum erstenmal bei meinem Vornamen Karl und hat ihn auch in Zukunft nie anders als jetzt, nämlich Scharlih, ausgesprochen.
    Nun sollte ich von dem Begräbnis erzählen, welches mit allen indianischen Feierlichkeiten vorgenommen wurde; ich weiß auch sehr wohl, daß eine eingehende Beschreibung dieser Feierlichkeiten gewiß interessieren würde, aber wenn ich an jene traurigen Stunden denke, fühle ich noch heut ein so tiefes Weh, als ob sie erst gestern vergangen wären, und die Schilderung derselben kommt mir wie eine Entweihung vor, nicht eine Entweihung der Grabmäler, welche wir den beiden Toten damals am Nugget-tsil erbauten, sondern des Denkmals, welches ich ihnen in meinen Herzen errichtete und stets treu gehütet habe. Darum bitte ich, die Beschreibung unterlassen zu dürfen.
    Intschu tschunas Leiche wurde auf sein Pferd

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