01 - Winnetou I
fortzusetzen und zu Ende zu führen.“
„Es freut mich, daß mein Bruder Winnetou zu dieser Ansicht gekommen ist; sie ist die richtige. Einer reicht nicht aus, und ein Nachfolger würde sich schwerlich finden. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, so würde der Kampf der Roten gegen die Weißen für euch unglücklich enden.“
„Ich weiß es; er würde unsern Untergang nur beschleunigen. Und wenn wir aus allen Kämpfen als Sieger hervorgingen, so sind die Bleichgesichter so viele, daß sie immer neue Scharen gegen uns senden könnten, während es uns unmöglich wäre, unsere Verluste zu ersetzen. Die Siege würden uns zwar langsamer, aber doch grad auch so aufreiben, als wenn wir geschlagen würden. Das habe ich mir gesagt, als ich während der Nacht bei meinen Toten saß, und den Entschluß gefaßt, auf die Ausführung meines Planes zu verzichten. Ich wollte mich damit begnügen, den Mörder zu fangen und mich an denen zu rächen, welche ihm Hilfe geleistet haben und nun mit ihm kommen, uns zu überfallen. Aber auch dies hat mir mein Bruder Old Shatterhand ausgeredet, und so soll meine Rache denn nur darin bestehen, daß ich Santer festnehme und ihn bestrafe. Die Kiowas lassen wir laufen.“
„Diese deine Worte machen mich stolz auf die Freundschaft, welche uns verbündet; ich werde sie dir nie vergessen. Wir beide sind, obgleich wir es nicht mit Sicherheit behaupten können, doch überzeugt, daß die Kiowas kommen werden. Es handelt sich nun darum, den Zeitpunkt ihrer Ankunft zu erfahren.“
„Der Tag ihrer Ankunft hier ist heut“, behauptete er in einem so sichern Ton, als ob es sich um eine vollständig festgestellte Tatsache handle.
„Wie ist es dir möglich, dies so bestimmt zu sagen?“
„Ich schließe es aus dem, was du mir von eurem letzten Ritt erzählt hast. Die Kiowas sind scheinbar nach ihrem Dorf gezogen, um euch hinter sich herzulocken, wollen aber eigentlich hierher; sie haben also einen Umweg gemacht, sonst hätten sie schon gestern eintreffen können. Sie haben auch noch andere Abhaltungen gehabt, durch welche ihre Ankunft verzögert worden ist.“
„Andere Abhaltungen? Welche?“
„Wegen Sam Hawkens. Den bringen sie natürlich nicht mit hierher, sondern sie haben ihn heim zu den Ihrigen geschickt; dazu mußte ein passender Ort und der geeignete Zeitpunkt abgewartet werden, vielleicht auch eine Gelegenheit, welche sich zufällig bot. Ebenso war es nötig, einen Boten abzusenden, welcher eure Ankunft zu melden hatte.“
„Ah, du meinst, daß die Krieger des Dorfes uns entgegenreiten sollten?“
„Ja. Die Krieger, mit denen ihr es dort am ausgetrockneten Fluß zu tun hattet, haben euch hinter sich herziehen wollen, hatten aber, weil sie beabsichtigten, hierher zu reiten, nicht die nötige Zeit, dann mit euch anzubinden. Sie haben also jedenfalls einen oder einige Boten an die Ihrigen abgeschickt, damit man euch vom Dorf aus entgegenziehe. Diesen Boten ist Sam Hawkens mitgegeben worden. Dann, nachdem dies geschehen ist, sind die Kiowas von ihrer Richtung abgewichen und haben den Weg nach dem Nugget-tsil eingeschlagen. Diese Schwenkung durftet ihr aber nicht entdecken; darum mußte sie an einer Stelle vor sich gehen, an welcher keine Spuren zurückbleiben konnten. Dergleichen Streifen sind selten; sie liegen meist nicht am Weg und müssen extra aufgesucht werden. Auch das ergibt einen Zeitverlust. Darum konnten die Kiowas unmöglich schon gestern hier sein. Sie sind auch bis jetzt noch nicht angekommen, werden aber ganz gewiß heut noch eintreffen.“
„Woher weißt du, daß sie jetzt noch nicht da sind?“
Er deutete nach der nächsten Bergkuppe. Der Wald, welcher sie bedeckte, wurde von einem sehr hohen Baum überragt. Dort war der höchste Punkt der Nuggetberge, und wer auf dem Baum saß und ein scharfes Auge hatte, der konnte rundum die angrenzende Prärie überblicken.
„Mein Bruder weiß nicht“, antwortete er, „daß ich einen Krieger dort hinaufgeschickt habe, welcher aufpassen soll und die Ankunft der Kiowas bemerken wird, denn er besitzt die Augen eines Falken. Sobald er sie kommen sieht, steigt er herab, um es mir zu melden.“
„Das ist gut. Die Meldung ist noch nicht erfolgt, also sind sie noch nicht da. Und du meinst aber, daß sie ganz bestimmt heut noch kommen?“
„Ja, denn länger dürfen sie nicht zögern, wenn sie uns antreffen wollen.“
„Sie hatten aber nicht die Absicht, bis zum Nugget-tsil vorzugehen, sondern sie wollten dir in der Nähe
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