01 - Winnetou I
gebunden, worauf man um beide Erde häufte, bis sich das Tier nicht mehr bewegen konnte; dann bekam es eine Kugel in den Kopf. Der Erdhaufen wurde erhöht, bis er den Reiter, seine Waffen und Medizin ganz bedeckte, und dann rundum mit mehreren Steinschichten bis zur Spitze bedeckt. Nscho-tschi erhielt auf meine Bitte ein anderes Grab. Ich wollte sie nicht so unmittelbar mit Erde bedeckt haben. Wir richteten sie an dem Stamm eines Baumes in sitzende Stellung auf und fügten dann um sie herum Steine zu einer festen, hohlen Pyramide zusammen, aus deren Spitze der Gipfel des Baumes ragte.
Ich bin später einigemal mit Winnetou am Nugget-tsil gewesen, um die Gräber zu besuchen. Wir haben sie immer unverletzt gefunden. – – –
SECHSTES KAPITEL
Sams Befreiung
Es läßt sich denken, welch großen Schmerz Winnetou über den Verlust seines Vaters und seiner Schwester empfand. Während des Begräbnisses durfte er demselben noch Ausdruck geben, dann aber mußte er ihn streng in seinem Innern verschließen; dies wurde ihm einesteils durch die indianische Sitte und andernteils durch die Notwendigkeit geboten, seine ganze Aufmerksamkeit auf die erwartete Ankunft der Kiowas zu richten. Er war jetzt nicht mehr der durch den herben Verlust fast niedergeschmetterte Sohn und Bruder, sondern der Anführer seiner Kriegerschar, mit welcher er den Angriff der Feinde abzuweisen hatte und den Mörder Santer fangen wollte. Er schien mit dem Plan dazu schon fertig zu sein, denn gleich nach dem Begräbnis befahl er den Apachen, sich zum Aufbruch bereitzumachen und darum die Pferde, welche sich unten im Tal befanden, heraufzuholen.
„Warum erteilt mein Bruder diese Weisung?“ fragte ich ihn. „Das Terrain ist so schwierig, daß es sehr viel Mühe machen wird, die Tiere hierher zu bringen.“
„Das weiß ich“, antwortete er; „aber es muß dennoch geschehen, weil ich die Kiowas dadurch überlisten will. Sie haben sich des Mörders angenommen und werden alle sterben müssen, alle!“
Sein Gesicht hatte bei diesen Worten einen drohenden, entschlossenen Ausdruck; wenn er seinen Vorsatz zur Ausführung brachte, waren die Kiowas verloren. Ich hegte mildere Gesinnungen als er. Sie waren allerdings unsere Feinde, trugen aber doch nicht die Schuld an dem Tod Intschu tschunas und seiner Tochter. Durfte ich es wagen, ihn anders zu stimmen? Vielleicht lud ich dadurch seinen Zorn auf mich; aber die Gelegenheit zu einer solchen Bitte war günstig, weil wir uns ganz allein auf der Lichtung befanden. Die Apachen hatten seinen Befehl sofort befolgt und sich entfernt, und Stone und Parker waren mit ihnen gegangen. Es hörte also niemand, wenn er mir in der Erzürnung eine Antwort gab, welche mich in Gegenwart anderer hätte beleidigen müssen. Ich sprach ihm also die soeben erwähnte Ansicht aus, und zu meiner Überraschung trat die Wirkung nicht ein, welche ich befürchtet hatte. Er sah mich zwar mit großen, finstern Augen an, antwortete aber in ruhigem Ton:
„Das mußte ich freilich von meinem Bruder erwarten; er hält es nicht für eine Schwachheit, dem Feind auszuweichen.“
„So habe ich es nicht gemeint, von einem Ausweichen kann keine Rede sein; ich habe sogar schon daran gedacht, wie wir sie alle festnehmen werden. Aber sie sind nicht an dem schuld, was hier geschehen ist, und es wäre ungerecht, sie die Strafe dafür mittragen zu lassen.“
„Sie haben sich des Mörders angenommen und kommen hierher, um uns zu überfallen! Ist das nicht Grund genug für uns, sie ohne Schonung zu behandeln?“
„Nein, es ist kein Grund, wenigstens für mich nicht. Es tut mir leid, zu hören, daß mein Bruder Winnetou in den Fehler fallen will, welcher die Ursache zum Untergang aller roten Nationen ist.“
„Welchen Fehler meint Old Shatterhand?“
„Den, daß die Indsmen sich gegenseitig zerfleischen, anstatt einander gegen den allgemeinen Feind beizustehen. Erlaube mir, recht aufrichtig zu dir zu reden! Wer meinst du wohl, wer im allgemeinen listiger und klüger ist, der rote Mann oder das Bleichgesicht?“
„Das Bleichgesicht. Ich sage dies, weil es die Wahrheit ist. Die Weißen haben mehr Kenntnisse und Geschicklichkeiten als wir; sie sind uns fast in allem überlegen.“
„Das ist richtig; wir sind euch überleben. Du aber bis kein gewöhnlicher Indianer. Der große Geist hat dir Gaben verliehen, welche auch unter den Weißen nur selten einer besitzt, und darum möchte ich haben, daß du anders denkst als ein gewöhnlicher roter
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