01 - Winnetou I
Tragbahre, sondern eine Schleife angefertigt haben.“
„Warum?“
„Um einen Toten oder überhaupt etwas auf einer Bahre zu tragen, dazu sind zwei Pferde erforderlich, die entweder neben- oder hintereinander hergehen; die Apachen haben aber nur drei Pferde. Bei einer Schleife jedoch genügt ein einzelnes Pferd.“
„Richtig; aber die Schleife macht eine verteufelte Fährte, was für den Betreffenden verderblich werden kann. Übrigens ist anzunehmen, daß sie gestern kurz vor Abend hier gewesen sind; es wird sich also bald zeigen, ob sie gelagert haben oder während der Nacht geritten sind.“
„Ich möchte das letztere behaupten, weil sie ja doppelten Grund zur Eile haben.“
„Ganz richtig; also laßt uns sehen.“
Wir waren abgestiegen und gingen, unsere Pferde hinter uns herführend, auf der Fährte langsam weiter. Sie sah jetzt ganz anders aus als vorher; sie war zwar auch wieder dreifach, doch nicht in der früheren Weise. Der mittlere, breite Strich stammte von den Pferdehufen, und die beiden Seitenstriche waren von der Schleife eingeritzt worden. Sie bestand also wohl aus zwei Hauptstangen und mehreren Querhölzern, die aneinander befestigt waren und auf welche dann die Leiche gebunden worden war.
„Sind von hier aus hintereinander geritten“, meinte Sam. „Das muß einen Grund haben, denn es ist zum Nebeneinanderreiten genug Platz da. Folgen wir ihnen nach!“
Wir stiegen wieder auf und ritten im Trab weiter, dabei dachte ich darüber nach, aus welchem Grund sie wohl von jetzt an hintereinander geritten sein könnten. Ich sann und sann und glaubte bald, das Richtige gefunden zu haben. Darum sagte ich:
„Sam, strengt Eure Augen an! Es wird mit dieser Spur bald eine Änderung eintreten, die wir nicht bemerken sollen.“
„Wieso? Eine Änderung?“ fragte er.
„Jawohl. Sie haben die Schleife angefertigt nicht nur um sich den Ritt zu erleichtern und die Leiche nicht mehr halten zu müssen, sondern auch um sich trennen zu können.“
„Was Ihr denkt! Sich trennen! Wird ihnen nicht im Traum einfallen, hihihihi!“ lachte er.
„Im Traum nicht, aber im Wachen.“
„So sagt mir, wie Ihr auf diese Idee kommt! Da werden Eure Bücher Euch wohl gewaltig in die Irre geführt haben.“
„Das steht nicht darin, sondern ich habe es mir selbst gesagt, allerdings nur infolgedessen, daß ich diese Bücher sehr aufmerksam gelesen und mich in ihren Inhalt sehr lebhaft hineingedacht habe.“
„Nun also?“
„Bisher habt Ihr den Lehrer gemacht; nun werde ich Euch auch einmal fragen.“
„Wird viel Kluges werden; bin neugierig darauf!“
„Weshalb pflegen die Indianer überhaupt meist hintereinander zu reiten? Doch nicht der Bequemlichkeit oder der Geselligkeit halber?“
„Nein, sondern damit der, welcher auf ihre Fährte stößt, nicht zählen könne, wie viele Reiter es gewesen sind.“
„Schau! Ich glaube, ganz derselbe Grund liegt auch hier in diesem Fall vor.“
„Möchte wissen!“
„Aber warum reiten da die beiden im Gänsemarsch, wo doch Platz wäre für mehr als drei Pferde?“
„Zufall, oder, was wohl das Richtige sein wird, des Toten wegen. Einer reitet vorn als Wegweiser; dann kommt das Pferd mit der Leiche und hinterher der andere, welcher aufzupassen hat, daß die Schleife fest zusammenhält und der Tote nicht etwa herunterfällt.“
„Mag sein; aber ich muß daran denken, daß sie Eile haben, an uns zu kommen. Der Transport des Erschossenen geht zu langsam; also wird wohl einer von ihnen voraneilen, damit die Krieger der Apachen schneller benachrichtigt werden können.“
„Das gaukelt Euch die Phantasie so vor. Ich sage Euch, daß es ihnen gar nicht einfallen wird, sich voneinander zu trennen.“
Warum sollte ich mich mit ihm streiten? Ich konnte ja unrecht haben; ja, ich hatte es höchst wahrscheinlich, weil er ein erfahrener Scout und ich eben ein Greenhorn war. Darum schwieg ich, aber ich paßte scharf auf den Boden und auf die Fährte auf.
Nicht lange nachher kamen wir an einen nicht tiefen, sondern sehr flachen, aber desto breiteren und jetzt vollständig ausgetrockneten Wasserlauf. Das war so eine Flußmulde, welche im Frühling die Gebirgswässer aufnimmt und dann, wenn diese sich verlaufen haben, während der übrigen Zeit trocken bleiben. Der Boden zwischen den beiden niedrigen Ufern bestand aus vom Wasser rundgeschliffenem Steingrus, zwischen dem sich einzelne Lager feinen, leichten Sandes befanden. Die Spur führte quer hindurch.
Während wir langsam
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