0100 - Die Schule der Dämonen
tödlicher Unfall war vermutlich um ein Vielfaches angenehmer als das, was ihn erwartete, wenn die Unholde ihn erwischten.
Limaux blieb immer weiter zurück. D’Avallon überfuhr die Marne, durchquerte mehrere Dörfer, näherte sich schließlich den Außenbezirken der Champagnermetropole Epernay. Verfolger hatte er bisher nicht gesichtet.
Langsam fing er jetzt doch an, an seine Rettung zu glauben. Vor Minuten noch hätte er keinen Sou für sein Leben gegeben. Nun aber stiegen seine Chancen mit jedem Meter, den der Commodore zurücklegte.
Und langsam traten auch Gedanken in sein Bewußtsein, die sich nicht nur um sein persönliches Überleben und Wohlergehen drehten. Es ging nicht nur um ihn. Es ging um das ganze Département Marne, um ganz Frankreich, um… die ganze Welt. Das Fürchterliche, das sich in Limaux ausgebreitet hatte, würde um sich greifen wie ein tödlicher Virus, wie eine mörderische Seuche. Er war der erste, der einzige, der dem Schrecklichen auf die Spur gekommen war. Es war seine Pflicht und Schuldigkeit, die Welt zu warnen.
D’Avallon wußte auch schon, bei wem seine Warnung am besten aufgehoben war. Er kannte da einen Mann, der über einschlägige Erfahrungen verfügte. Diesen Mann mußte er schnellstens von den entsetzlichen Geschehnissen in Limaux in Kenntnis setzen.
Schnellstens? Nein, sofort. Wenn die Unholde ihn doch noch in ihre Klauen bekamen…
Alles in ihm drängte danach, weiterzufahren, immer weiterzufahren, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und das unselige Limaux zu legen. Er widerstand diesem Drängen des inneren Schweinehunds. Es wäre unverantwortlich gewesen, jetzt nur an sich selbst zu denken.
Längst hatte er seine Geschwindigkeit verringern müssen. Der Stadtverkehr Epernays gestattete kein wildes Rasen mehr. Autos und Menschen, die ihren Feierabend genießen wollten, quirlten durcheinander. Sicherlich begünstigt durch die Tatsache, daß es inzwischen aufgehört hatte, zu regnen.
Ein Stück vor sich sah d’Avallon die Leuchtreiklame eines Bistros Dort konnte er bestimmt telefonieren. Er schaltete zurück, fädelte sich in die rechte Fahrspur ein. Ein paar Meter vor dem Bistro sah er eine Parklücke. Sekunden später hatte er den Wagen abgestellt und verlassen.
Er betrat das Bistro. Es war gut besucht. Keiner der kleinen Tische war frei. Aber d’Avallon wollte ja auch nichts essen oder trinken, sondern lediglich telefonieren. Er steuerte sofort auf den Tresen zu.
»Haben Sie Telefon?« fragte er das dickliche Mädchen am Ausschank. Seine Stimme klang nervös. Kein Wunder, denn er war auch nervös. Er ertappte sich dabei, daß er immer wieder zum Eingang hinüberblickte.
»Da«, sagte das Mädchen und zeigte auf den Telefonapparat, der nur wenige Schritte vom Tresen entfernt an der Wand hing.
»Danke.«
D’Avallon eilte auf das Telefon zu, fischte ein paar Münzen aus der Tasche, griff nach dem Hörer. Die Nummer des Mannes, den er anrufen wollte, kannte er auswendig.
Er wählte, bekam auch sofort eine Verbindung. Ein Lakai war am Apparat, der ihn aber gleich weitergab. Dann hatte er seinen Mann an der Strippe.
»Professor? Hier ist d’Avallon. Haben Sie ein paar Augenblicke Zeit? Es ist sehr dringend!«
Sein Gesprächspartner ließ ihn wissen, daß er Zeit habe, und forderte ihn auf, sein Herz auszuschütten.
D’Avallon fing sofort damit an. »Professor«, sagte er drängend, »es ist etwas Ungeheuerliches passiert. Ich bin… Sie müssen sofort…«
Plötzlich stockte er. Unmittelbar hinter sich hatte er Schrittgeräusche gehört. Ansonsten war es ganz ruhig im Lokal geworden.
Er wirbelte herum.
Und erstarrte.
Da waren sie! Zwei der Ungeheuer aus Limaux standen keine zwei Schritte von ihm entfernt. Ihre teuflischen Feueraugen spuckten Flammen, und in ihren Höllenfratzen spiegelte sich alle Bosheit der Welt.
Vier Klauen mit Krallen spitz wie Dolche streckten sich d’Avallon entgegen.
»Nein!« schrie er in höchstem Entsetzen. Von Panik erfüllt wich er zurück, kam dabei aber nicht weit, da ihm die Wand im Wege war.
Die Ungeheuer setzten sofort nach.
»Hilfe!« brüllte d’Avallon.
Das ganze Bistro war jetzt aufmerksam geworden. Sämtliche Gäste an den Tischen starrten herüber. Neben dem dicklichen Mädchen hinter dem Tresen erschien ein Mann, genauso beleibt, mit demselben kuhähnlichen Gesichtsausdruck wie das Mädchen. Der Mann kam hinter dem Tresen vor, blickte einen der Unholde an.
»Was ist mit dem Mann, Gendarm?«
Weitere Kostenlose Bücher